Meine gute alte Zeit - Teil I
gedrechselte Red e wendungen. Ich lernte auch tanzen und feines Benehmen von einem Herrn namens (ich weiß, es klingt unwah r scheinlich) Washington Lob. Ich lernte den Boston und den Washin g ton Post und noch ein paar andere Tänze, sowie die verschiedenen Sitten einer weltbürgerlichen G e sellschaft. »Nehmen wir einmal an, Sie müssten neben einer älteren, verheirateten Dame Platz nehmen. Wie würden Sie das anstellen?« Ich sah ihn aus gr o ßen Augen an. »Ich… ich würde mich setzen«, antwortete ich ve r wundert.
»Zeigen Sie es mir.« Er hatte ein paar vergoldete Stühle im Zimmer stehen, und ich setzte mich, wobei ich b e müht war, meine Beine so gut es ging unter dem Stuhl zu verstecken.
»Nein, nein, das ist ganz unmöglich. So geht das nicht«, ließ Mr W a shington Lob sich vernehmen. »Sie drehen sich zur Seite, ja, so, aber nicht weiter; während Sie sich setzen, lehnen Sie sich ein wenig nach rechts, beugen ein wenig das linke Knie, sodass es fast so aussieht, als ob Sie eine kleine Verbe u gung machten.« Das musste ich lange üben.
Regelrechten Abscheu hegte ich vor dem Zeichen- und Malunte r richt. Aber Mutter ließ nicht mit sich reden: »Mädchen müssen mit Aquarel l farben umgehen können.«
Und so wurde ich also zweimal in der Woche sehr g e gen meinen Willen von einer geeigneten jungen Frau a b geholt (in Paris promeniert ein junges Mädchen nicht allein durch die Straßen) und mit der Metro oder dem Bus in ein Atelier in der Nähe des Blumenmarktes g e bracht. Dort gesellte ich mich zu einem Kreis junger Damen, die Veilchen im Wasserglas, Lilien in einer Ka n ne und gelbe Narzissen in einer schwarzen Vase malten. Tiefes Seufzen hub an, wenn die Leiterin des Ateliers mein Werk besichtigte. »Mais vous ne voyez rien«, sagte sie. »Sie müssen mit den Scha t ten beginnen, sehen Sie das nicht? Da sind Schatten und da und da.«
Ich sah keine Schatten; ich sah noch immer Veilchen in e i nem Glas Wasser. Veilchen waren violett – ich rührte dieses Violett auf meiner Palette an und malte die Vei l chen violett – ohne Schatten, ohne Kontra s te. Ich gebe zu, dass das Resultat nichts mit einem Strauß Veilchen in einem Glas Wasser g e mein hatte, aber ich sah einfach nicht und habe nie gesehen, was es ist, das Schatten zu einem Veilchenstrauß im Wasser macht.
Obwohl ich viele charmante Franzosen kennen lernte, ve r liebte ich mich seltsamerweise in keinen. Statt dessen wurde ich von stürm i scher Leidenschaft für Monsieur Strie, den Empfangschef des Hotels, erfasst. Er war groß und dünn, in der Art eines Bandwurms, hatte blonde Haare und eine Veranlagung zu Pusteln. Ich weiß wir k lich nicht, was ich in ihm sah. Ich hatte nie den Mut, ihn anzusprechen, obwohl er gelegentlich »Bonjour, Mademo i selle« sagte, wenn ich durch die Halle kam. Ich stellte mir manchmal vor, wir wären in Französischind o china, er läge an der Pest darnieder, und ich pflegte ihn. Bevor er seinen letzten Atemzug tat, murmelte er: »Mademoiselle, ich habe Sie schon damals im Hotel ang e betet« – was soweit ganz in Or d nung war, aber wenn ich Monsieur Strie am nächsten Morgen beobachtete, wie er in seinem Verschlag saß und fle i ßig schrieb, schien es mir doch recht unwahrscheinlich, dass er jemals diese Worte ä u ßern würde – auch nicht auf seinem Sterbebett.
Während der Osterferien machten wir Ausflüge nach Versailles, Fo n tainebleau und an verschiedene andere Orte, und dann teilte Mu t ter mir mit – unerwartet wie immer –, dass ich nicht zu Mademoiselle T. z u rückkehren würde.
»Ich halte nicht viel von dieser Schule«, sagte sie. »Sie ist nicht mehr das, was sie einmal war. Ich fahre nach En g land zurück, und ich habe dich in ›Les Marroniers‹, Miss Hoggs Schule in Auteuil, ei n schreiben lassen.«
Ich war nicht sonderlich überrascht. Es hatte mir bei Mad e moiselle T. gefallen, aber ich brannte nicht darauf, zu ihr z u rückzukehren. Und es schien mir interessanter, etwas Neues kennen zu lernen.
Ich kam also nach »Les Marroniers« – eine gute Schule, doch sehr en g lisch. Es gefiel mir dort, aber ich fand es langweilig. Ich hatte eine recht gute Klavierlehrerin, nur machte es hier nicht so viel Spaß wie mit Madame Le g rand. Und da alle die ganze Zeit Englisch sprachen, o b wohl das streng verboten war, lernten wir nicht viel Fra n zösisch.
Schulfremde Betätigungen waren nicht erlaubt, g e schweige denn, dass sie gefördert wurden, und so blieb mir wenigstens
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