Meine letzte Stunde
Maschinengewehrfeuer der feindlichen Linien, fest davon überzeugt, dass nur der Kamerad links und rechts von ihnen getroffen werden konnte, aber nicht sie selbst.
Zu meiner eigenen Überraschung habe ich einige der auf den ersten Blick oft so erschreckenden Aussagen von Ernest Becker über die Urängste des Menschen in den vielen Interviews, die ich geführt habe, fast wortgleich von meinen Gesprächspartnern gehört, und das fast 40 Jahre nach dem Erscheinen seines Buches. Die Furcht vor dem Tod ist ganz offensichtlich ein universelles Phänomen, das alle Menschen unabhängig von ihrem Bildungsgrad, ihrer Religionszugehörigkeit und ihrer Kultur bewältigen müssen. Schon in Frühkulturen sehen wir, dass der Mensch den Tod immer gefürchtet hat.
Der Mann, der den Tod so fürchtet, weil er das Leben so liebt
„Ich beschäftige mich einmal am Tag mit meiner letzten Stunde und habe dabei Gänsehaut. Der Gedanke, dass es einmal aus sein wird, erschreckt mich. Es ist ein schwerer Krampf im Magen, wie wenn man im Flugzeug in schwere Turbulenzen gerät. Ich kann diese höllische Angst jederzeit abrufen, sie ist total präsent in mir, ich brauche das sogar, um mich richtig zu spüren. Hätte ich keine Kinder, wäre ich sogar in Gefahr gewesen, ein depressiver Alkoholiker zu werden, weil mich der Gedanke an den Tod so belastet.“
Christian Rainer zählt zu den – ganz wenigen – Menschen, die gar nicht erst einer bösen Diagnose bedürfen, um sich täglich mit ihrer Sterblichkeit auseinanderzusetzen. Als der Herausgeber des Nachrichtenmagazins „profil“ in Claudia Stöckls populärer Radiosendung „Frühstück bei mir“ offen über seine Todesängste sprach, erhielt er unzählige E-Mails, in denen man ihm dafür dankte, dass das „endlich einmal jemand öffentlich sage.“
Woher denn seine Angst käme, frage ich nach. „Ich weiß es auch nicht, warum ich sie habe und andere nicht. Ich will nicht sterben, weil ich so gerne lebe. Das hat nichts mit der Angst vor dem Älterwerden zu tun, sondern dem Wissen, dass ich jetzt mit meinen 48 Jahren garantiert die Hälfte des Lebens hinter mir habe. Die erste Hälfte des Urlaubs ist also vorbei und die zweite ist aus Erfahrung immer viel kürzer.“
Kinder und der Tod
Unser Problem mit der Angst vor dem Tod hat in dem Moment begonnen, als wir zu denken angefangen haben. Das führt zu der Frage, ob uns die Todesfurcht schon als Kindern angeboren ist. Ich versuche mich zu erinnern, wann ich das erste Mal mit dem Tod in Berührung kam. Nur ganz dunkel sehe ich die Bilder des Begräbnisses eines entfernten Onkels, die düstere Stimmung und die vielen schwarz gekleideten Menschen.
Studien zeigen, dass Kinder bis zu ihrem vierten beziehungsweise sechsten Lebensjahr einen anderen Zugang zum Tod haben als wir. Der Gedanke an den Tod ist viel zu abstrakt für sie. Erst mit dem Beginn der Pubertät haben die Kinder das Verständnis des Todes wie die Erwachsenen erobert. Zuerst bedeutet der Tod für die Kinder die Abwesenheit der wichtigsten Bezugspersonen; später anerkennen sie die Existenz des Todes, aber er ist wieder umkehrbar. Im Idealfall von seinen Eltern umsorgt und gefüttert, weiß das Kind nichts davon, dass das Leben eines Menschen endlich ist. Ein geliebtes Kind entwickelt ein Gefühl der Allmacht und der eigenen Unzerstörbarkeit. Erst allmählich lernt das Kind, dass es so etwas wie den Tod gibt, zum Beispiel wenn es einen toten Vogel findet. Stirbt ein Verwandter, erkennt es, dass auch Menschen für immer weggenommen werden. Und sehr zögernd realisiert das Kind, dass es eines Tages selbst dem Tod nicht entrinnen wird. [2]
Die westliche Zivilisation hat schon einen sehr eigentümlichen Umgang damit, wie Leben beginnt und wie es endet. Wir wollen einfach nicht akzeptieren, dass wir biologische Wesen sind, die einen Anfang, aber auch ein Ende haben. Zwar ist der Tod auch bei uns im Westen alltäglich, nur wird er aus der Gesellschaft ausgegrenzt. Es wurden eigene Institutionen geschaffen, die dazu da sind, damit man dort sterben kann. Wir haben Experten, also Ärzte, Schwestern, Hospizmitarbeiter damit beauftragt, für uns mit dem Tod umzugehen. In Deutschland sterben jährlich 800.000 Menschen, davon jeder Zweite in einem Krankenhaus, jeder Vierte in einem Heim, jeder Sechste in seiner Wohnung, jeder Hundertste in einem Hospiz. Jeder Vierte benötigte eine spezialisierte Begleitung am Lebensende, tatsächlich erhält sie bisher nur jeder Fünfzigste. [3]
In
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