Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meine letzte Stunde

Meine letzte Stunde

Titel: Meine letzte Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Salcher
Vom Netzwerk:
Geben und Nehmen, zwischen Aktivität und Passivität nie geschafft hat, wird sie auch im Sterben nur mehr schwer erlernen. Nach einem Leben, in dem wir nur genommen haben, werden wir am Ende erfahren, dass wir uns dieses sanfte Ende nicht auch noch nehmen können, sondern dass es immer der Tod ist, der uns nimmt. Je besser wir unser ganzes Leben lang gelernt haben, die Furcht uns zu geben, zu überwinden, desto leichter wird es uns in unserer letzten Stunde fallen, uns ganz zu geben. Es spricht viel für die Annahme, dass dieses Aufgeben-Können genau die Qualität ist, die uns hilft, uns einem schönen Tod zu ergeben, der uns für etwas Größeres danach öffnet.
     
    Wer die Kunst des Abschieds kann, kann alles.
    Hugo von Hofmannsthal
    Hat das alles noch Sinn?
    Wir dürfen nie vergessen, dass die menschliche Natur die Endgültigkeit des Todes nie akzeptieren kann und sich immer an die Möglichkeit des Weiterlebens klammert. So gab selbst Medizin-Nobelpreisträger Paul Nurse zu, dass auch für ihn nicht ganz geklärt sei, wann ein Leben genau endet. Es komme immer wieder vor, dass Menschen unerklärlicherweise aus dem tiefsten Koma wieder aufwachen. Darin liegt wohl auch die tiefere Bedeutung des Spruches „Die Hoffnung stirbt zuletzt“. Daher kann ein Außenstehender nie beurteilen, ob der unbändige Lebenswille eines Menschen aussichtslos ist oder nicht. So betrachtet, endet ein Leben an dem Punkt, wo der Wille weiterzuleben am Ende ist, auch wenn das Leben aus biologischer Sicht noch andauert. Immer wenn unser Leiden besonders groß ist, wenn wir meinen, es nicht mehr aushalten zu können, werden wir unausweichlich mit der einen großen Frage konfrontiert: Hat das alles noch Sinn?
    Was für Tiere der Selbsterhaltungstrieb ist, stellt für uns Menschen die Suche nach dem Sinn unserer Existenz dar. Es ist die Grundfrage unseres Seins, mit der wir in jeder bedrohlichen Situation unseres Lebens konfrontiert werden. In unserer letzten Stunde wird diese Frage nach dem Sinn unseres Lebens unausweichlich gestellt. Alles davor ist Vorbereitung auf diesen Augenblick der Wahrheit.
    Viktor E. Frankl hat bekanntlich seine Theorien über den Sinn des Lebens im Grauen des Konzentrationslagers geformt. In einer solchen Situation könne man dem Menschen alles nehmen, nur nicht die innere Freiheit, sich so oder so einzustellen. Deshalb musste jeder KZ-Insasse eine Antwort auf die Frage finden, ob man das Lager entgegen allen Wahrscheinlichkeiten überleben werde. Denn wenn nicht, dann hätte der tägliche Kampf ums Überleben keinen Sinn. Doch Frankl drehte die Frage um: „Hat dieses ganze Leiden, dieses Sterben rund um uns, einen Sinn? Denn wenn nicht, dann hätte es letztlich auch gar keinen Sinn, das Lager zu überleben. Denn ein Leben, dessen Sinn damit steht und fällt, dass man mit ihm davonkommt oder nicht, ein Leben also, dessen Sinn von Gnaden eines solchen Zufalls abhängt, solch ein Leben wäre nicht wert, überhaupt gelebt zu werden.“ [10]
    Ich bin immer wieder überrascht, wenn ich ausländische Freunde, die mich in Wien besuchen wollen, nach ihren Wünschen frage, dass das Viktor-Frankl-Institut ganz oben auf ihrer Liste steht. Frankl wurde zu Recht weltberühmt, weil er seine in der Hölle des Konzentrationslagers gewonnenen Erfahrungen auf unser aller Leben übertrug: Weh dem, der kein Lebensziel mehr vor sich sieht, der keinen Zweck mehr für sein Dasein erkennen kann, er verliert die Kraft zum Überwinden von Ausnahmesituationen. Der Satz „Ich habe vom Leben nichts mehr zu erwarten“ ist immer der Anfang vom Ende eines Menschenlebens, auch wenn dieses vielleicht noch viele Jahre dauert, bevor es endgültig erlischt.
    Die Antwort, mein Freund, weiß ganz allein …
    Woher unsere Todesfurcht kommt, erklärt Ernest Becker umfassend: Im Wesentlichen sieht er den Grundkonflikt des Menschen in seinem Wunsch nach Unsterblichkeit und der Einsicht seiner Vergänglichkeit. Diese Diskrepanz wird immer größer, je mehr Grenzen der Mensch überwinden kann: Der Mensch fliegt zum Mond und kann sich dank des medizinischen Fortschritts sogar ein neues Herz einpflanzen lassen – „verliert“ aber dennoch den letzten Kampf. Nur die Verdrängung bewahrt den Menschen davor, angesichts dieser Zerrissenheit verrückt zu werden. Die im deutschen Titel seines eingangs erwähnten Buches versprochene Überwindung der Todesfurcht bleibt er uns aber schuldig. Sein großes Werk endet so:
    „Wer weiß heute, wie die Kraft

Weitere Kostenlose Bücher