Meine letzte Stunde
verbrachte, an der USC in Los Angeles. Mit dem Ziel herauszufinden, ob sein Wunsch und sein Talent tragfähig genug sind. Die Erfahrung war ermutigend genug, den Sprung zu wagen. Er zog in eine kleinere Wohnung, tauschte den Porsche gegen einen gebrauchten VW, aber vor allem Pflichterfüllung gegen Leidenschaft. Er studierte Drehbuch und Regie in Los Angeles und gewann mit seinem ersten professionellen Drehbuch einen der wichtigsten Drehbuchpreise im deutschen Sprachraum. Heute ist er erfolgreicher Drehbuchautor für Serien wie „Tatort“, Regisseur von Fernsehfilmen und Werbespots, hat seinen ersten Spielfilm gedreht, der zahlreiche internationale Auszeichnungen einheimste, und bereitet seinen ersten großen Kinofilm vor.
Max erzählt, dass das am schwierigsten zu Verkraftende an seinem Berufswechsel der Rückschritt in den völligen Status- und Kompetenzverlust war. Wenn man einmal in einem Gebiet ein gewisses Wissen, Erfahrung, eine Position und Kontakte, eben gelebte und wahrgenommene Kompetenz erworben hat und sich dann plötzlich als absoluter Niemand in der zweiten Reihe in der Drehbuchklasse findet, erlebt man das schon als schwere Prüfung in Demut. Doch der Glanz der Hoffnung, die Leidenschaft für das gewählte Gebiet und der Zauber der immer neuen Möglichkeiten trugen über alles hinweg.
Das Archiv der unerfüllten Wünsche
Die Festplatte unseres Computers speichert bekanntlich alle Suchanfragen, die wir täglich eingeben, von ganz banalen wie nach einem Restaurant zu sehr persönlichen wie den Heilungschancen von Knochenkrebs bis zu kriminellen wie der Wirkungsweise von schwer nachzuweisenden Giften. Somit wird die Festplatte zu einer „Datenbank unserer Absichten“. Nur völlige Computerlaien glauben, dass man die Inhalte einer Festplatte endgültig löschen kann, alles bleibt gespeichert und kann wieder sichtbar gemacht werden. Unser Gehirn hat bekanntlich eine noch viel größere Kapazität als unser Computer und speichert ebenfalls alle noch so verborgenen Gedanken.
Eine besonders große Datei in unserem Gehirn ist mit „Unerfüllte Wünsche“ beschrieben. Sie wächst im Lauf unseres Lebens in riesige Dimensionen. Manchmal in der Nacht öffnet sie sich und dringt in unsere Träume ein. Ich kenne die Geschichte eines sehr erfolgreichen Unternehmensberaters, der hundertprozentig davon überzeugt war, dass er keine Kinder wollte. Eines Nachts träumte er davon, dass er auf einem Hügel stand und auf die weite Prärie blickte, im Hintergrund tönte die Musik von „Bonanza“. Neben ihm stand sein Sohn, dem er seine Hand auf die Schulter legte und zu ihm sagte: „Das wird alles einmal Dir gehören.“ Einen Monat später wurde seine Frau schwanger. Der Mann kann sich heute das Leben ohne seine Kinder nicht mehr vorstellen. Eine Geschichte, die man wohl schwer erfinden kann. In unserer letzten Stunde meldet sich diese Datei mit einem nicht zu übersehenden Blinken und zwingt uns, unsere Aufmerksamkeit auf sie zu richten. Je größer diese Datei ist, umso mehr unserer dann so knappen Zeit nimmt sie in Anspruch.
Wenn man am Ende seines Lebens das Gefühl hat, nicht sein Leben gelebt zu haben, wird man ein sehr bitteres Gefühl haben, wie die von Jack Nicholson gespielte Hauptfigur Warren Schmidt in dem tragisch-komischen Film „About Schmidt“:
„Ich bin schwach. Ich bin ein Versager. Da gibt’s nichts daran zu rütteln. Ich werde bald sterben … vielleicht in 20 Jahren, vielleicht schon morgen. Es ist egal. Wenn ich tot bin und alle, die ich kannte, gestorben sind, dann ist es so, als hätte es mich nie gegeben. Welchen Menschen hat mein Leben genützt? Keinem. Überhaupt keinem.“
Es kann ein großes Unglück für ein Leben sein, seine Berufung nie zu finden. Das noch viel größere Unglück ist, seine Berufung gespürt zu haben, dieser aber nicht gefolgt zu sein. Am Ende unseres Lebens wollen wir die Bestätigung, dass unser Leben Sinn gehabt hat. Diesen Bestätigungsvermerk können wir uns nur selbst ausstellen. Ohne geglückte Beziehungen zu anderen Menschen und ohne sein Talent wirklich für sich und andere genutzt zu haben, wird das schwer gelingen. Ein Leben ohne Liebe, Sinn und Idealismus kann nicht im Angesicht der letzten Stunde plötzlich an Bedeutung gewinnen. Was es wiegt, das hat es.
Und der Tod kam unerwartet zu dem Menschen.
Und der Mensch fragte: „Ist es wirklich schon so weit?“
„Ja, es ist so weit“, antwortete der Tod.
„War das alles?“, fragte der
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