Meine letzte Stunde
Entscheidung dafür. Zuerst muss die Bereitschaft da sein, das Risiko, aus den gewohnten Lebenszyklen auszubrechen, dann kann man sich über die Früchte dieser Entscheidung freuen. Wie viele Beispiele in Ihrem Bekanntenkreis kennen Sie, die ohne äußeren Zwang durch ihre eigene Entscheidung aus ihrer vorgegebenen Laufbahn ausgebrochen sind, um etwas ganz anderes zu wagen? Bei mir sind es nicht viele, aber das, was sie gemeinsam haben, ist, dass sie es nie bereut haben und sich ihr ursprüngliches Leben heute gar nicht mehr vorstellen können. Sie haben es geschafft, für sich klare Entscheidungen zu treffen. Das hört sich mutig an – und ist es auch. Vor die Wahl gestellt, mehr freie Zeit für sich selbst und seine Familie oder mehr Wohlstand und damit scheinbar mehr Sicherheit zu haben, entscheiden sich nach wie vor die meisten Menschen für das Geld, und zwar unabhängig davon, wie viel sie schon haben. Das ist durchaus legitim, wenn es den eigenen Maßstäben entspricht.
Es geht auch anders. Der Grafiker Stefan Sagmeister betreibt ein sehr erfolgreiches Designstudio in New York und wurde durch seine CD-Cover für die Rolling Stones bekannt. [3] Das, was ihn von anderen unterscheidet, ist, dass er alle sieben Jahre seine Firma mit allen Mitarbeitern für ein ganzes Jahr schließt. In dieser Zeit ist er kompromisslos für keinen Kunden erreichbar, der Laden ist zu. Er habe beschlossen, 5 seiner statistisch erwartbaren 15 Pensionsjahre aus seiner Gesamtlebenssumme auszuschneiden und alle sieben Jahre zwischen die Arbeitsjahre hineinzuschieben. Sein letztes Sabbatical verbrachte er auf Bali. Neben der landschaftlichen Schönheit und dem Zauber seiner Bewohner beeindruckte ihn vor allem, welch hohen Stellenwert das Kunsthandwerk in dieser Gesellschaft hat. Die Idee des Sabbatjahres stammt aus der Bibel: „Sechs Jahre sollst Du Dein Feld besäen und sechs Jahre Deinen Weinberg beschneiden und die Früchte einsammeln. Aber im siebten Jahr soll das Land dem Herrn einen feierlichen Sabbat halten. Da sollst Du Dein Land nicht besäen und auch Deinen Weinberg nicht bearbeiten“ (3. Mose 25,1–4). Stefan Sagmeister kann jedenfalls bestätigen, dass dieses uralte Konzept heute noch sehr gut funktioniert. Dieses eine Jahr Auszeit sei immer eine wunderbare Zeit, die seine Lebensfreude wesentlich erhöhe. Daran werden die wenigsten von uns zweifeln, doch wer kann sich das schon leisten? Überraschend ist daher, dass sich das Ganze bisher auch finanziell gerechnet hat, weil durch die Möglichkeit, intensiv nachzudenken, andere Kulturen zu erforschen und Problemen wirklich auf den Grund zu gehen, habe sich die Qualität seiner Arbeit so gesteigert, dass er höhere Preise verlangen kann. Er erhielt 2009 wieder einen Grammy, diesmal für sein Cover des Albums „Everything That Happens Will Happen Today“ von David Byrne.
Ein Beispiel aus meinem Freundeskreis, das zeigt, dass es möglich ist, seinen Lebenstraum auch gegen alle Sachzwänge durchzusetzen:
Mit einem abgeschlossenen Doppelstudium von Jus und Betriebswirtschaft, einem MBA der Eliteschmiede INSEAD, internationaler Erfahrung und einem Job als persönlicher Sekretär des Generaldirektors einer Großbank – und das alles mit Anfang 30 – hatte Max perfekte Voraussetzungen, in den Vorstand eines großen Unternehmens zu kommen. Er war damals, wie er heute sagt, sehr gut darin, das zu tun, was man von ihm erwartete. Doch er hatte auch einen Traum. Seine große Liebe galt dem Film. Seit seinem achten Lebensjahr wollte er Filmregisseur werden. Bis zum Ende seiner Studien war er auch höchst engagierter Amateurfilmer. Doch er lernte etwas „Ordentliches“, dem eine Karriere folgte, die den Traum, wie es schien, unter sich begraben hatte. Doch der alte Traum lebte mit voller Wucht auf, als Max einen Unternehmensfilm für die Bank zu verantworten hatte, und ließ ihn ab da nicht mehr los. Aber der Schritt schien wahnwitzig. Auch die Umstände der Entscheidung. Max hatte einen unterschriftsreifen Vertrag einer der prestigeträchtigsten internationalen Investmentbanken vor der Nase liegen. Doch statt diesen zu unterschreiben, teilte er den Herren von Goldman Sachs mit, dass er sich entschlossen habe, Filmregisseur zu werden. Max traf diese Entscheidung, wie er sagt, „schweißgebadet und mit vollen Hosen“, aber nicht aus einer Laune heraus. Er hatte zuvor ein Sabbatical, eine Auszeit, genommen, in der er einige Monate an einer der besten Filmakademien der Welt
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