Meine letzte Stunde
Welt zu fliegen. Mit 19 Jahren erhält sie die Chance, die wichtigste Filiale einer exklusiven Bäckerei in der Innenstadt zu leiten. „Ich war meinem Chef sehr dankbar, das war das erste Mal in meinem Leben, dass ein sehr erfolgreicher Mensch an mich geglaubt hat.“ Ihr wichtigstes Talent entdeckt sie durch andere: Sie mag Menschen und die Menschen mögen sie. Bei einer Hochzeit sitzt sie einem Flugzeugkapitän einer großen Luftlinie gegenüber und erzählt ihm von ihrem Traum, Stewardess zu werden. Das sei jetzt ein sehr günstiger Zeitpunkt, weil seine Firma gerade wieder Flugbegleiter sucht, antwortet der Pilot. Einige Tage später bringt sie ihre Schwester zum Flughafen. Als Eva einer Boeing 747 beim Abheben zuschaut, wird ihr klar: „Wie schön wäre es, da jetzt mitzufliegen. Das ist das, was ich immer wollte.“
Lebensträume erfüllen sich statistisch vernachlässigbar durch den unerwarteten Anruf aus Hollywood oder den Lottogewinn. Aber irgendwann im Leben kommt der Punkt, an dem man die Gelegenheit erhält, etwas Außerordentliches zu tun. Manche greifen dann zu, manche schauen weg. Das und nichts anderes macht den Unterschied, ob aus einem Leben eine gute Geschichte werden kann oder nicht.
Eva schickt noch am selben Tag ein Bewerbungsschreiben ab und wird auch zu einem Gespräch eingeladen. Sie zittert dem Gespräch entgegen, denn sie weiß, dass sie eine unüberwindbare Hürde nehmen muss, die sie bisher abgeschreckt hat, sich jemals als Stewardess zu bewerben. Gefordert sind sehr gute Englischkenntnisse und möglichst eine zweite Fremdsprache. Eva spricht nur sehr schlecht Englisch. Trotzdem überwindet sie sich, geht zum Aufnahmegespräch, das sehr gut verläuft – bis zu dem Augenblick, als der Personalchef ins Englische wechselt, um ihre Sprachkenntnisse zu prüfen. Eva bleibt bei Deutsch und es bricht aus ihr heraus: „Ich kann nicht wirklich gut Englisch. Aber ich weiß, dass ich eine ganz tolle Flugbegleiterin werden kann. Ich verspreche Ihnen, dass ich sofort intensiv Englisch lernen werde.“ Entgegen allen Aufnahmekriterien wird sie vom Personalchef genommen, eine kluge Entscheidung. Das für diesen Beruf wichtige Talent, Menschen zu mögen, auch sehr schwierige, kann man nicht lernen – Englisch schon. Sie haben wahrscheinlich schon erkannt, wer der zweite Held in dieser Geschichte ist: der Personalchef, der riskiert, eine Leitlinie zu missachten und seiner Intuition zu vertrauen.
Lebensträume kommen immer aus dem Drang, ein Talent auszuüben: Singen, Tanzen, Menschen helfen, Kinder erziehen, neue Wege entdecken, sehr gut zuhören können, Potenziale anderer fördern, Konflikte lösen, Menschen überzeugen, Verbindungen knüpfen, Informationen analysieren, andere zum Lachen bringen, schöne Dinge gestalten, schreiben, Veränderungen managen, Dialoge initiieren, Beziehungen aufbauen, Wunden heilen, Bauwerke schaffen, mit Kindern lernen, Probleme lösen, die Umwelt schützen und vieles mehr.
Jedes Talent ist immer auch eine Verpflichtung. Wenn ein Talent nicht genutzt wird, ist es ein vergeudetes Talent. Es versucht zu haben und damit gescheitert zu sein, ist eine bittere Erfahrung. Aber für unsere gescheiterten Versuche werden wir uns am Ende des Tages nicht anklagen. Hochverrat am eigenen Leben ist, wenn man nie ernsthaft versucht hat, einen Lebenstraum auch zu verwirklichen, wenn man nicht zumindest einmal etwas riskiert hat. Wenn der verlorene Traum in unserer letzten Stunde nochmals hochkommt, geht es uns ganz schlecht. Verpasste Gelegenheiten und ungenutzte Chancen, die wir aus Feigheit und Angst zerstört haben, bilden das Fegefeuer, durch das wir dann durchmüssen.
Unser eigenes Lebenskonzept wagen
Erlauben wir uns einmal die Frage, ob wir wirklich 30 Jahre unseres Lebens den Wünschen nach dem unvermeidlichen Haus im Grünen mit zwei strahlenden Kindern, dem Golden Retriever auf dem Rasen und einer Karriere, in der es nur nach oben gehen darf, nachjagen wollen? Wo hat die Fernsehwerbung schon die Regie für unser Leben übernommen und welche Bilder für die glückliche Zukunft sind unsere eigenen? Wie viele Menschen kennen wir, die das alles für sich realisiert haben, ohne an den Widersprüchen zu zerbrechen? Ist das wirklich unser eigenes Lebenskonzept? Oder wird unser ganz persönlicher Lebenstraum nicht genau zwischen Hamsterrädern einer Traummaschine, die von anderen gesteuert wird, zermahlen?
Mehr Lebensqualität und Freiheit sind die Folge einer bewussten
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