Meine letzte Stunde
Entscheidungen, die darüber bestimmen, ob wir Sinn in unserem Tun finden.
Wenn ich am Ende meines Lebens vor Gott stehe, dann wollte ich, dass mir kein einziges Fitzelchen Talent mehr übrig bliebe und ich sagen könnte: „Ich habe alles aufgebraucht, was Du mir gegeben hast.“
Erma Bombeck
[1]
Stefan Klein: Zeit. Der Stoff, aus dem das Leben ist. Eine Gebrauchsanleitung, Frankfurt am Main 2006, S. 146
[2]
Mihaly Csikszentmihalyi: Flow im Beruf. Das Geheimnis des Glücks am Arbeitsplatz, Stuttgart 2004, S. 53
[3]
brand eins, November 2007, S. 112–114
[4]
brand eins, November 2007, S.126–129
[5]
Das Interview mit Thomas Bubendorfer fand am 24. März 2010 statt.
Liebe – die Essenz des Lebens
Um einen Liebesbrief zu schreiben, musst Du anfangen, ohne zu wissen, was Du sagen willst, und endigen, ohne zu wissen, was Du gesagt hast.
Jean-Jacques Rousseau
In der letzten Stunde wird es ganz einfach: Man hat geliebt – oder nicht. Fragt man Menschen nach dem glücklichsten Augenblick ihres Lebens, erhält man oft zwei Antworten: „Ich liebe Dich“ von einem geliebten Menschen gesagt zu bekommen und das erste Mal das eigene Kind nach der Geburt zu sehen. Liebe umfasst noch mehr. Die Liebe zu anderen, die Liebe zum Leben und die für viele schwierigste Liebe: die Liebe zu sich selbst.
Betrachtet man die größte Liebe seines bisherigen Lebens aus der Perspektive der letzten Stunde und kehrt mit all diesen Gefühlen wieder in die Gegenwart zurück, kann man vielleicht einige Herzschläge lang erleben, wie sehr sich die Wahrnehmung der Welt verändert. Liebe ist immer neu, auch wenn wir glauben, sie schon gut zu kennen, sie ist immer größer, als wir uns vorstellen können, und sie überrascht uns manchmal an Orten, an die wir uns nie freiwillig begeben würden.
Liebe im Härtetest – eine Expedition in eine verdrängte Welt
Bei mir war es eine einfache Frage, die mich nach St. Anna führte: Gehen Kinder anders mit dem Tod um als Erwachsene? Diese Frage war schnell beantwortet: Ja, Kinder gehen anders mit dem Tod um als Erwachsene, viel heldenhafter, weil sie fest davon überzeugt sind, dass sie danach als Engel in den Himmel kommen. Wenn Kinder sterben müssen, sind sie nicht traurig über ihr eigenes Schicksal, sondern darüber, dass sie ihren Eltern Leiden verursachen. Sie klammern sich mit letzter Kraft an ihr Leben, weil sie ihre Mama nicht weinen sehen wollen. Sie wollen ihre Eltern vor Leid schützen, dafür verbergen sie sogar ihre eigenen Schmerzen. Kinder haben keine letzten Wünsche für sich selbst, sondern nur für andere. Sie wollen, dass Mama und Papa zusammenbleiben und nicht streiten, dass sie noch ein Kind bekommen. Sie machen genaue Listen mit Geschenken, wer was von ihren Sachen erhalten soll. Krebskranken Kindern kann man sich nicht entziehen, sie rühren einen zu Tränen. Man bewundert den ungeheuren Überlebenswillen dieser ganz jungen Menschen und das Durchhaltevermögen ihrer Väter und Mütter.
Das St. Anna Kinderspital in Wien ist ein Ort, für den man gerne spendet, um den man aber lieber einen Umweg macht. Zu stark wirkt die unbewusste Angst, dem, was hinter den Mauern lauert, zu nahe zu kommen. St. Anna steht für etwas, das Menschen an ihrem Glauben zweifeln lässt. St. Anna konfrontiert uns mit einer Tatsache, die wir nicht akzeptieren können: Dass es Kinder gibt, die an Krebs erkranken und daran sterben. Krebskranke Kinder passen nicht in diese Welt, in der alles machbar ist.
Wenn man einem tabuisierten Ort nicht ausweicht, sondern ihn betritt, wird man zuerst mit seinen Vorurteilen konfrontiert. Bereits nach einer Stunde im St. Anna Kinderspital hatte ich erkannt, dass fast alles, was ich bis dahin zu wissen geglaubt hatte, sachlich falsch war. In Österreich erkranken jedes Jahr „nur“ 250 Kinder, in Deutschland 1800. Und jetzt gleich die gute Nachricht: Sie haben eine Überlebenschance von 70 Prozent. Man hat mir ein Buch geschenkt, geschrieben von der Mutter eines überlebenden Kindes, das Kinder und Eltern auf dem Weg durch die Therapie leiten soll. Sehr, sehr gut gemacht, man versteht sofort, worum es geht. „Hannah, Du schaffst es!“ heißt das Buch und natürlich gehört Hannah zu jenen drei von vier Kindern, die es schaffen.
Mir ist auch das strahlende Lächeln, die sehr positive Ausstrahlung der Schwestern und Ärzte aufgefallen. Man spürt ihre Fähigkeit zu ehrlichem Mitgefühl. Und dann packt es einen selbst, man kommt sich moralisch
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