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Meine Mutter, die Gräfin

Meine Mutter, die Gräfin

Titel: Meine Mutter, die Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Hirdman
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keine richtigen NKWD -Aktivitäten, sondern um MOPR -Botendienste [Rote Hilfe]. Haben Sie eventuell andere Namen, die man nachschlagen könnte? In der KPD -Gruppe gab es zahlreiche Charlottes bzw. Lottes. […] Einen Vorteil hatte das damalige Frauenbild – Frauen wurden nicht in demselben Maße wie Männer vom polizeilichen Radar erfasst, das galt auch für die Partei und die Parteibeauftragten. Sie sollten sich auf jeden Fall an das Archiv der Arbeiterbewegung hier in Kopenhagen wenden, wo Hans Uwe Pedersen arbeitet; er hat viel über die Kommunistische Partei Deutschlands im dänischen Exil geforscht.

    Yvonne Hirdman an Hans-Uwe Pedersen: Ob es in dänischen Archiven, vielleicht im Archiv der Arbeiterbewegung, womöglich Material über meine Mutter, Charlotte Stenbock-Fermor, geben könnte?
    Hans-Uwe Pedersen an Yvonne Hirman: Ich bezweifele, dass über ihren evtl. illegalen Aufenthalt in Dänemark im Jahr 1937 Material in dänischen Archiven existiert.
    Ein anderer Emigrant, Niels Rickelt (früher Baumann) hat mir gegenüber kürzlich den »Roten Grafen«, Alexander Stenbock-Fermor, erwähnt, den Niels aus der Zeit gekannt hat, als er in der Künstlerkolonie (der am Breitenbachplatz in Berlin, die auf Initiative von Niels' Vater Gustav Rickelt entstand) gewohnt hat. Ist Ihre Mutter vielleicht irgendwie mit Alexander Stenbock-Fermor verwandt? Wenn sie tatsächlich für die GPU gearbeitet hat, dann ist das ohne das Wissen der KPD geschehen. In meiner deutschen Emigrantenkartei ist Ihre Mutter nicht registriert, und ich bin auch nicht beim Durchsuchen der Fallakten von den Ausländerbehörden, die im dänischen Reichsarchiv liegen, auf ihren Namen gestoßen – was nicht heißt, dass es nicht trotzdem etwas über sie gibt. Ich würde Ihnen raten, ans Reichsarchiv zu schreiben und um Auskunft darüber zu bitten, ob eine Ausländerakte über Ihre Mutter existiert.

    Und ich schreibe. Und warte – und bekomme Antwort: Ja, es gibt eine! Aber die Akte sei noch für weitere drei Jahre zur Geheimsache erklärt. Ich könne aber um Einsicht bitten, dafür gäbe es auf der Internetseite des Reichsarchivs ein gesondertes Formular. Ich finde es. Fülle es aus. Schicke es ab. Ich bekomme wieder Antwort – mittlerweile ist über ein Monat vergangen –, ja, ich dürfe Einsicht in das Material nehmen, wenn ich hoch und heilig verspräche, die Bedingungen, die seitens des Reichsarchivs daran geknüpft sind, zu beachten. Und ich verspreche es – hoch und heilig – und bekomme eine
Woche später Bescheid, dass sie nun da liege, für mich herausgesucht – im Reichsarchiv in Kopenhagen. Aber ich könne auch Kopien bekommen. Ich bitte höflichst um Kopien, tausend Dank. Gut, aber ich müsse sie vorab bezahlen – natürlich werde ich sie vorab bezahlen, wie viel soll ich zahlen? Eine Woche vergeht – ja, 600 Dänenkronen also – ich bezahle 600 Dänenkronen, was 845 Schwedenkronen macht, worauf die Bank nochmals einen Aufschlag von 400 Kronen verlangt, um das Geld schnell von der Danske Bank Schweden zur Danske Bank Dänemark zu transferieren – ich bin sauer, aber ich zahle und warte jetzt nur noch darauf, dass mir die Kopien zugeschickt werden. Ein weiterer Monat ist vergangen.

    Und ich träume: Dass es über Mama eine Akte gibt – es existiert massenweise Material und ich bin da, im Archiv. Da liegt ein alter, etwas zerfledderter brauner A4-Umschlag mit Petersilie – da drüben ein Karton mit irgendwelchen Essensresten; ich koste vorsichtig davon, kann ich das wirklich essen? –, und da, da sind stapelweise Bücher, auf deren Vorsatzblätter sie etwas geschrieben hat – ich erhasche einen Blick auf das Wort »Yvonne« – ich muss mich mit dem Lesen beeilen – aber da nehmen sie mir das ganze Material weg, die Uhr zeigt fünf – ich sehe auf meinen nackten Körper hinab, ich hülle mich in meine langen Haare ein – sie verriegeln die Tür – ich komme nicht mehr rein. Soll ich hier etwa halbnackt stehen bleiben? Und warten?
    Die Geheimakte
    Eines Freitag nachmittags traf sie ein. Ein ziemlich dünnes Päckchen, allein das enttäuschte mich schon. Und nachdem ich die großen Papierbögen überflogen hatte – was ziemlich schnell ging, obwohl sie auf Dänisch waren –, war ich noch ernüchterter. Ich hatte erwartet – zur Geheimsache erklärt und so –, dass es sich um so etwas wie einen Auszug aus den
Stasi-Unterlagen über verdächtige Personen handelte, wie im Film »Das Leben der Anderen«: Ein

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