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Meine Mutter, die Gräfin

Meine Mutter, die Gräfin

Titel: Meine Mutter, die Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Hirdman
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sondern nur für Männer aus dem Ausland, die eine Schwedin heirateten. Eine Heirat war so etwas wie ein Tarnumhang. In guten wie in schlechten Zeiten. Es ermöglichte auch jüdischen Frauen, ungesehen ins Land zu kommen. Als ein Anhängsel, ein Besitztum. Ein Gesetz, das bis 1951 in Kraft war.
    Das schwedische Bereitschaftsheim
    Sie traf nach dem Jahreswechsel 1939/1940 in Stockholm ein, wo klirrende Kälte herrschte. Mindestens minus zwanzig Grad waren es, als sie nach einer albtraumhaften Reise mit dem kleinen Kind aus dem Zug stieg. Am Bahnhof nahm er, ihr Mann, sie mit seiner Schwester, der siebzehnjährigen Birgit, in Empfang. Folgendes vertraute Birgit ihrem Tagebuch an:

    »Einar hatte Schmerzen im Fuß, also kaufte ich eine Hyazinthe und wir gingen zum Bahnsteig. Wir mussten eine ganze Stunde warten; es war kalt, langweilig und wir wussten nicht, wann der Zug kommen würde. Im Gewimmel auf dem Bahnsteig entdeckten wir schließlich C. mit dem Baby auf dem Arm. Wieder mussten wir warten, diesmal an der Zollabfertigung. Ihr Gepäck nahm einen ganzen Langtresen in Anspruch – Reisetaschen und Koffer, ein alter Kinderwagen, eine Schreibmaschine, Kartons etc. stapelten sich, während der Kleine brüllte wie am Spieß. Sie hatten eine anstrengende Reise hinter sich, und C. sah blass und erschöpft aus.«

    Ihr Gepäck nahm einen ganzen Langtresen in Anspruch … Hatte sie ihre Sachen etwa von Zürich nach Prag, von Prag nach Moskau, von Moskau nach Kopenhagen mitgeschleppt (und wie hat sie sie von Estland nach Kopenhagen transportiert, wo sie doch geflogen war?)? Und dann von Kopenhagen nach Paris, Paris – Pontigny – und dann den ganzen weiten Weg bis nach Orre … Samt Taschen und Koffern, Schreibmaschinen und Kartons …? Dabei hat sie, als sie Norwegen verließ, in ihrem Tagebuch notiert, dass sie diesmal nichts zurücklassen werde; sie werde alles mitnehmen – »es tut mir so leid um meine Sachen in Pontigny, Moskau und Berlin, um meine Briefe, meine Fotos.« Aber der Rest
nimmt noch einen ganzen Langtresen in Anspruch – seltsam.
    Und Birgit fährt fort:

    »Wir sitzen – vollgepackt bis obenhin – im Auto und fahren ›nach Hause‹. Der Kofferträger, der uns begleitete, hatte mit dem Gepäck alle Hände voll zu tun. Die Frau des Hauses hatte Gäste, noch waren die Kerzen am Weihnachtsbaum angezündet, und wir mussten mit allem quer durch die große Stube. Als das Gepäck endlich in dem winzigen Zimmer verstaut war, war kaum noch Platz. Die Vermieterin erschien halbbekleidet im Morgenmantel und wandte ein, dass der Kinderwagen aber nicht an der Tür stehen bleiben könne, weil ihr ›Freund‹ sonst nachts darüber stolpern könnte.«

    Das Zimmer in dieser moralisch gesehen nicht ganz einwandfreien Wohnung in der Nähe der Drottninggatan war nicht nur winzig, sondern noch dazu kalt, dreckig und voller Flöhe. Schon nach wenigen Tagen blieb ihnen keine andere Wahl, als bei seinen Eltern, Maj und Gunnar Hirdman, in der Ålstensgata 71 unterzuschlüpfen, bis sie eine neue Wohnung gefunden hatten.

    Das ist der Punkt, an dem sie tout passe brummelt, der Punkt, an dem sie die Zähne zusammenbeißt und das Beste daraus macht, aus ihrem neuen, seltsamen Leben in diesem neuen Land mit neuen Verwandten: Schwiegermutter »Mama« Maj, die Bücher schreibt, Camel raucht, aber nicht auf Lunge, klein und kräftig gebaut ist und Oberarme wie eine ehemalige Magd, dunkelbraunes Haar und dicke rote Lippen hat. »Eine merkwürdige Figur, eine Hysterikerin«, hält Charlotte sachlich in ihrem Tagebuch fest, wenngleich sie ein gutes und egoistisches Herz hat. Mit ihrem Schwiegervater Gunnar
Hirdman, Volksbildungslehrer beim Arbeiter-Bildungsverband, der ständig auf Reisen ist, verbindet sie die Liebe zu Sprachen, Zigaretten und Diskussionen, auch wenn Gunnar ein bisschen an Backlund erinnert und seine frischgebackene Schwiegertochter, bei der die rote Kommunistin trotz aller Zweifel immer noch durchscheint, womöglich mit großer Skepsis betrachtet. Mit ihrem Schwager Arne und seiner Freundin Ingrid werden sie sich in der Strålgatan 9 in Lilla Essingen eine kleine Zweizimmerwohnung teilen, in der sie den Haushalt führt, während Einar den lieben langen Tag schläft – er ist schließlich Student – und Arne ihr Rauchen verabscheut, sodass sie dafür ins Badezimmer geht. Arne, der Schriftsteller werden will und seinen kleinen Bruder ständig neckt und Schabernack mit ihm treibt. Und dann gehörte noch Birgit zur

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