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Meine Mutter, die Gräfin

Meine Mutter, die Gräfin

Titel: Meine Mutter, die Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Hirdman
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sie.
    Als im Juni 1940 die Deutschen kampflos in Paris einzogen – das Unvorstellbare –, hat sich der Schock, den sie bei der Nachricht über den Nichtangriffspakt verspürt hatte, gelegt und sie vertraut ihrem Tagebuch an, dass sie immer noch an den Kommunismus glaubt. Er sei der einzige Weg, um Hitler und den Krieg zu stoppen. Und womöglich dient er ihr auch als Schutz, geht mir durch den Kopf, eine Art Wehr, die sie vor ihrer unfreiwilligen neuen Heimat , vor dem Volksheim und vor den Hirdmans abschirmt?

    Im Herbst 1940 ist sie erneut schwanger – schöne Katastrophe! –, aber so ist das Leben, und alles geht weiter: mit Abendessen bei Maj und Gunnar in Ålsten, mit Gereiztheit und Nachsicht in der Strålgatan 9, mit Klein Henrik, der jetzt plötzlich Sven genannt wird – warum? –, mit dem Laufen angefangen hat und begeistert Gymnastik mit Einar macht – »das kleine Menschlein macht mir große Freude« –, mit dem Lernen der Sprache ihres neuen Heimatlandes. Heimlich aber rezitiert sie Gedichte auf Deutsch:
    »Wir sitzen in warmen Stuben
    Und haben zu essen genug
    Vom Krieg hören wir durchs Radio
    Unser Mitleid ist Selbstbetrug«

    Das neue Jahr 1941 läutet sie allein mit Sven in der Strålgatan ein, der erkältet ist und Fieber hat – die anderen sind in Ålsten –, ist aber ganz zufrieden, ist Einsamkeit doch ein Luxus, der Luxus, Zeit für sich und zum Nachdenken zu haben und in aller Ruhe schreiben zu können. Sie kramt in ihrem Gedächtnis – es ist wie ein Ritus, als ob sie in einem Schmuckkästchen nach Juwelen sucht. Silvester 1936 hatte sie mit Heini auf einem Kominternfest gefeiert, den nächsten Jahreswechsel in Jeanville in Paris – einen Abend, der ihr damals völlig verkorkst und schrecklich vorkam, der jetzt aber einen gewissen Charme hat. Danach hatte sie wieder in Paris gefeiert, dann in Stavanger und dann … Und sie listet ihre alten Freunde auf: Heini, Tschü…, Gabbi, Madame Desjardins, Kahil, die arme Leni, Alexander, Grete Neumann – ob sie wohl noch am Leben ist? »Ich möchte sie alle wiedersehen – möchte meinen Kindern von ihnen erzählen. Unser Leben war so bunt und abwechslungsreich, so verlottert und so wundervoll. Ihres wird bestimmt nicht so schwer, aber auch nicht so schön sein wie meines … Jetzt schließe ich mit 1940 ab und wünsche mir fürs nächste Jahr Frieden – und eine Tochter.«

    Und es wurde eine Tochter, es wurde eine kleine blonde Eili, aber es gab keinen Frieden, und wieder gingen die Jahre dahin … Ab und zu tauchte Heini in ihren Träumen auf. Im Juni 1941, bevor das Deutsche Reich die Sowjetunion angriff, wurde ihr von einem Dr. Zucher zugetragen, dass er in einem Briefwechsel mit Heini gestanden hätte und dieser mit einem süßen, jungen Mädchen verheiratet sei – Schmerz flammt in ihr auf, so als würde sie noch heimlich davon träumen, dass sie beide, trotz allem, vielleicht später … Vielleicht verbarg sie ihre Tränen, vielleicht verbarrikadierte sie sich wieder auf der Toilette und griff nach ihrem Tagebuch: »Damit scheint mir alles – meine Jugend und meine ganzen
Träume – begraben zu sein. Merkwürdigerweise habe ich vorgestern Nacht geträumt, dass ich wieder in Moskau war, Heini war so kalt zu mir und furchtbar beschäftigt, und er wurde aus der Partei ausgestoßen. So ist es ja auch, und dieser Traum taucht immer wieder auf, als wäre es ein Albtraum.«
    Und dann folgt trotzig, ja fast so, als sei es, trotz allem, ein Treueschwur gegenüber Heini – trotz allem :

    »Ich glaube an den Kommunismus und an die SU . Habe trotz allem nichts gefunden, das an ihn heranreicht, und es ist schön, in diesen Zeiten wenigstens an etwas glauben zu können. Natürlich habe ich oft daran gezweifelt, das auch laut ausgesprochen, aber in Wahrheit habe ich doch immer daran festgehalten – und man muss schließlich durch Phasen des Zweifels und der Fehleinschätzungen hindurch. So eine Überzeugung muss erkämpft und erlitten werden, sonst taugt sie nichts. Ja, ich bin allein, aber ich habe meine Kinder und kann arbeiten gehen, kann mich also glücklich schätzen, und irgendwie muss es ja auch weitergehen.«

    Der Krieg hält – auch nach über einem Jahr noch – mit unverminderter Stärke an. Aber jetzt fällt es ihr leichter, damit umzugehen, jetzt, nachdem die Sowjetunion in den Krieg mit hineingezogen wurde, wurde sie doch am 21. Juni 1941 von ihrem Verbündeten überfallen. Endlich ist wieder alles so, wie es sein soll –

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