Meine Mutter, die Gräfin
Summertown, Oxford –
» Entre nous « – »unter Ihresgleichen« – ein eigenes Haus bauen konnten. Jenes Haus, in dem sie 31 Jahre später, während sie in ihrem Krankenbett liegt, in Gedanken umhergehen wird – ins Esszimmer, wo die Mahagonimöbel mit ihrem Haar um die Wette glänzen, die Treppenflucht hinauf, in das zum Garten zeigende Kinderzimmer, wo ihre älteste Tochter auf der kleinen Bank am Fenster sitzt und hinaussieht – und ja, seht nur her, hier ist das Gästezimmer, das Badezimmer und hier die Kammer des Dienstmädchens …
Ernüchterung
Unsere glücklichsten Jahre. Das glaube ich ihr ohne weiteres. Im Hinblick darauf, was sie danach erwartet, muss ihr die Zeit in Oxford, während sie da in ihrem Bett im Hospital St. Georg in Leipzig gelegen und sich gequält hat, geradezu paradiesisch vorgekommen sein. Frieden, Geld, Arbeit, ja, und im Mai 1908 wird Otto geboren und Klein Leni im September 1909 (ein Jahr später, fünf Tage nach ihrer großen
Schwester – immer im Schatten, immer dahinter), und die Kleinfamilie macht Ausflüge, ruht sich am Ufer der Themse aus und schaukelt auf den Schaukeln in ihrem kleinen Garten. Ach ja, und da guckt ja Emilie in ihrem » Entre nous « aus dem Fenster und lacht und zeigt viel zu viel Zahnfleisch und – nach der Aufnahme zu schließen – ziemlich hässliche kleine Zähne. Und da ist das Kindermädchen, das aussieht, als ob es mit dem riesigen Hut auf ihrem Mädchenkopf »große Dame« spielen will. Das Kindermädchen … Verflucht aber auch .
Das Haus in Oxford.
Denn wie war das noch gleich gewesen? Das Glück war nicht ganz ungetrübt, als sie Leni erwartete, oder? Zog sich gerne in sich zurück – »und dann diese Ausbrüche« …
Zurück zum Tagebuch. Am 14. Juli 1911 finden sich erstmals seit der Heirat wieder ein paar neue Zeilen darin. Andeutende, unterschwellig ihre Botschaft vermittelnde Zeilen – genau wie damals bei ihrem ersten Verlobten. Und im Juli 1911 war das Leben nicht ungetrübt, ganz und gar nicht:
»Die Würfel sind gefallen – ich muss mich daran gewöhnen, mich von meinen Gefühlen zu distanzieren.
Nur so werde ich mein seelisches Gleichgewicht wiederfinden, das so wichtig für meine Erholung ist. Ich will mich nicht länger aufregen, denn jede noch so kleine Regung, jede noch so kleine Emotion lässt mein Herz entsetzlich leiden. Das wird mich verändern, womöglich verjüngen, scheint mir doch, als würden mich nun schon der geringste Kummer und das kleinste Unglück altern lassen, und das, obwohl ich erst 28 1 / 2 bin, was für eine Frau, noch dazu, wenn sie Mutter ist, doch nicht alt ist! Wenn ich für meine Kinder lebe, hoffe ich dadurch jung zu bleiben, damit ich ihnen eine Kameradin sein kann.«
»Ich will nicht länger leiden!«, fährt sie in zierlicher Schreibschrift fort. »Ich werde mich mit Teilnahmslosigkeit wappnen, werde mich nicht verletzen lassen. Sie tun nichts anderes, als mich zu verletzen und mich zu demütigen, und die Wertschätzung, die sie mir zuteilwerden lassen, beschränkt sich auf ein wertschätzendes Lächeln.«
Sie? Wird sie von Freunden und Bekannten schlecht behandelt? Oder von Fritz und …? Sie will nicht »geschätzt« werden – sie will geliebt werden:
»Ich will geliebt werden, weil ich liebe; sonst soll man mich besser mit meinen Gedanken allein lassen, ohne ständig mit einer Geste meinen Schmerz zu wecken […] ich würde meine Rolle spielen, ohne dass man mir bei dessen Einstudierung helfen müsste – das ist sowieso schon seit langem so.
Amen.«
Ihre Rolle spielen? Die der Nachsichtigen? Der Verzeihenden? Die nichts sieht oder hört? Zwei Monate später dann: »Alles zu verstehen – das heißt, zu leiden, doch alles zu verzeihen.« Und was steht da noch? Nur kurze, unzusammenhängende Sätze: »Mir ist gleichgültig, wie eine Frau aussieht, sagt mein Mann, sofern sie nur schön, dünn, schlank, klein und zierlich, zart und ›traquée‹ – scheu – ist.«
Es ist kein Zufall, dass sie gleichzeitig ein Rezept für ihre Haare notiert – dieses verfluchte Haar! Dieses Haar, das nicht grau werden soll, das seinen Glanz von der Sonne und den Bädern in den Seen rund um Neuchâtel, vom Fluss Auvernier erhalten hat – ah! Es ist so, als ob ihre ganze Jugend an diesen Haaren hinge und Fritz nicht will, dass sie ihren Glanz verlieren – ja, sie damit ihre ganze Vitalität und Lebendigkeit einbüßt. So spült sie ihre Haare also mit dem Elixier – ob's etwas
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