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Meine Mutter, die Gräfin

Meine Mutter, die Gräfin

Titel: Meine Mutter, die Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Hirdman
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herauf: Die Kinder lägen schon im Bett und sie werde sich auch gleich schlafen legen, wollte sich aber doch erst ein wenig mit ihm schreiben, auch wenn es ihr schwerfalle, mit ihm – von Gebirgsluft und Dichtung berauscht – Schritt zu halten, und sie ja nichts als ihr prosaisches Geplauder beizutragen habe.
    Und Lottie, ja Lottie trainiere für eine von der Schule in
szenierte Tanzaufführung (so lange währte die unbeschwerte Freiheit also doch nicht), Otto hielte sich fast immer in der nahe liegenden Werkstatt auf – ja, Holz hätten sie zur Genüge – und ach, das Haus sei ja so schön, sie habe einen Stuhl erstanden, der so »prachtvoll« aussähe, und die Sonne scheine in die hübsche Schlafstube, und, ja, die Buchhandlung laufe recht gut – nun ja, nicht glänzend, aber gut – und an Fritz' Geburtstag morgen am 21. Mai würden sie gemeinsam mit der Familie mit einer Flasche Wein feiern, ach ja, und sie werde ein Zimmer untervermieten – Fritzi? Der Mai sei so kalt, die Tomatenpflanzen und Bohnen drohten gar zu erfrieren. Sie decke sie gegen den Frost ab – und dann ein Kuss, und noch ein Kuss – Emilie .
    Die Likörkatastrophe
    Doch, natürlich werde das Leben immer schwerer, je länger der Krieg anhielte. Die Russen seien immer noch in der Stadt und die Rumänen hätten sich im Sommer zu »unseren Feinden«, d.h. der Triple Entente (Russland, Frankreich, Vereintes Königreich) gesellt. »›Bald stehen wir in Budapest!‹, posaunte der bei einer Nachbarsfamilie einquartierte rumänische Offizier. Aber als er zwei Monate später zurückkehrte, hat er doch einsehen müssen« – so schreibt Emilie, und noch heute ist ihren Worten eine gewisse Befriedigung zu entnehmen –, »dass die Rumänen nach ihrem triumphierenden Einzug in Siebenbürgen [heute Transsilvanien] schon vor dem Abfeuern der ersten Kanonenkugeln zurückgedrängt worden waren. Ha! Was für Feiglinge!«
    Selbst versucht sie das Beste aus der Situation zu machen – »make the best of it« – und versorgt den Feind mit selbstgemachtem Likör. Der Zucker sei ihnen zwar ausgegangen, doch ihr gelänge es (von ihren Ärzten, mes médicins ) zusätzliche Rationen zu erstehen, um Chartreuse zuzubereiten. Und um Geld zu verdienen.
    Aber es war nicht ihr Likör, der im Sommer 1916 die große Katastrophe verursachte, sondern Rudichs Likörfabrik. Sie sei selbstverständlich geschlossen worden, aber ein paar russische Soldaten hätten ein verstecktes Alkohollager entdeckt und danach habe es kein Halten mehr gegeben. Sie seien mit Flaschen, Eimern und Kannen angerannt gekommen, um »das köstliche Nass« zu holen.
    Es klang, als wäre es gerade erst passiert, als sie gut zwanzig Jahre später davon erzählt – von dem entsetzlichen Anblick nach der Katastrophe. Denn einige Übereifrige hätten sich mit Fackeln in den engen Vorratsraum begeben, um etwas sehen zu können, und da hätten die Alkohollager Feuer gefangen, sodass über 150 Soldaten da drinnen verbrannt seien.
    Daraufhin habe der Braumeister die Sicherheitsventile, die den Alkohol in die Rinnsteine ableiteten, geöffnet. Obwohl sich darin haufenweise Abfall, Müll, Schmutz und Kehricht befunden hätten, hätte das die Soldaten nicht daran gehindert, sich auf den Bauch zu werfen und sich bis über beide Ohren zu betrinken, bis sie wie tot umfielen. Spießgesellen seien zur Seite gedrängt, ja, beiseitegeschleudert worden, bloß damit man seinen begehrten Platz behalten konnte. Die Stadtglocken hätten geläutet, der Belagerungszustand sei ausgerufen worden. Drei Tage hätten die Zivilbürger nicht in die Stadt gehen dürfen. Und die Soldaten hätten mit dem Plündern angefangen:

    »Ein sternhagelvoller Soldat sah mich am Fenster, seine Arme waren voller Gardinen und Teppiche, die er irgendwo geklaut hatte. Er wollte Brot haben. Ich ging mit dem Verlangten auf ihn zu und versperrte ihm gleichzeitig den Weg – ich wollte ihn nicht im Haus haben, weil die bei mir einquartierte Person, ein Ordnungspolizist, mit einem Auftrag unterwegs war. Dann wollte er doch kein Brot – mich wollte er. Bevor ich überhaupt nachdenken konnte,
hatte ich ihm zwei tüchtige Ohrfeigen gegeben. Verblüfft schaute er mich an und führte die Hand zur Mütze: Sdrastwujti , Barinja – Ich grüße Sie, gnädige Frau, machte kehrt und verschwand.«

    Einen kleinen Schreck hatte sie damals aber wohl doch bekommen – »es hätte schlimmer ausgehen können«.
    In ihren Briefen an »Fritzi« erweckt sie dagegen einen

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