Meine Mutter, die Gräfin
Notizhefte und Stifte geschenkt. Alles ist teuer, es gibt Ärger mit den Dienstmädchen, die Kinder sind süß – ganz besonders Lottie, die schlicht und einfach bezaubernd ist, mit geröteten Wangen, glänzenden Augen und wehenden blonden Zöpfen. Sie hat ein Buch entdeckt, auf dem der Name Goethe steht, und hört gar nicht mehr auf zu fragen. Otto ist ungemein stolz, dass sein Papa Soldat ist und auf einem Pferd reitet – Leni beschäftigt sich mit ihren Puppen. Und Lottie dichtet ein Weihnachtsgedicht für ihren Vater:
»Im Felde! Im Felde, im Felde
Da reitet Papa auf'm Pferde
Und erschreckt einen Russ'
Das macht dem großen Verdruss!«
Aber trotz Bällen, Baukästen, Druckerei und Zinnsoldaten will Otto mit Puppen spielen: Er wickelt sie in Decken ein und legt sie ins Bett. Und es schert ihn auch nicht, dass er dafür ausgelacht wird, er bleibt standhaft bei seiner Meinung: »Papa spielt doch auch mit seinen Kindern. Und ist trotzdem ein ganzer Mann. Wenn ich schon keine Kinder hab', nehm' ich eben Puppen. Damit ihr's wisst!«
Ewig dieser Vater! Das Leben kreist um ihn, obwohl er durch Abwesenheit glänzt.
Vielleicht birgt diese Abwesenheit aber nicht nur einen gewissen Reiz in sich – ja, vielleicht macht sie sogar glücklich? Es findet sich so ein Aufblitzen davon in Briefen und Erinnerungen wieder, die auf Prügel deuten – »für alles« gab's Prügel, und ein »Donnerwetter«, wenn man sein Briefpapier benutzt hatte – solche Dinge eben.
Und dieser Vater, der mit so stolz geschwellter Brust davongeritten war, lag schon bald wegen »Brustschmerzen« im Krankenhaus in der kleinen Stadt Glogau, die damals zu Deutschland (heute Głogów in Polen) gehörte, nicht weit von Frankfurt an der Oder entfernt. Und da beschloss Emilie – und das spricht doch trotz der erwähnten Ernüchterung für Liebe? –, ihn mitsamt den drei Kindern Ostern 1916 zu besuchen. Liebe? So steht es da: »Er wünschte mich und die Kinder zu sehen. Es war kein Leichtes, einen Pass zu bekommen. Ganz Galizien lag in der Frontzone. In Lemberg [heute Lwiw] lag das deutsche Konsulat. Also dorthin mitsamt den drei Kindern.« Sie tut das, was von einer treusorgenden, liebenden Ehefrau erwartet wurde, obwohl ein kleiner Ton von – ja, was? – aus ihren Worten herauszuhören ist. Nein, es war wirklich kein Leichtes, einen Pass zu bekommen, oder überhaupt einfach, inmitten des Kriegsgetümmels unterwegs zu sein.
Je mehr ich über diese Reise von 1916 quer durch die Ostfront nachdenke, desto aufgebrachter werde ich: Wie konnte er sie und die Kinder nur einer solchen Gefahr, einem solchen Risiko aussetzen? Wie konnte er sie nur darum bitten, ihn zu besuchen? Und sein Wille – musste der ihnen um jeden Preis Gesetz sein?
Aber sie fuhren: »Die Kinder sind froh und munter. Für den Augenblick ist das Wiedersehen mit dem Vater ganz nebensächlich. Sie genießen die Reise in vollen Zügen, sind schon 4 1 / 2 und 7 Jahre alt [ aber Emilie, Lottie war doch schon 9? ], und
diese Fahrt werden sie ihren Lebtag nicht mehr vergessen – anders als unsere Reisen von England in die Schweiz vor dem Krieg.« Nein, das sollten sie nicht, Lottie konnte sich noch sehr gut daran erinnern:
»Im Frühjahr 1916 fuhren wir nach Glogau. Papa lag dort im Lazarett – Lungenentzündung. Wir fuhren über St. Koloman – Przemyśl – Lemberg – Krakau und an vielen anderen zerschossenen und zerstörten Ortschaften vorbei. Besonders St. Koloman machte einen tiefen Eindruck auf uns; wir übernachteten dort. Es war grau, schmutzig und lag ganz in Trümmern. Die Züge waren voll mit klagenden alten Juden und weinenden Frauen und Kindern, die alle versuchten, irgendwohin zu flüchten.«
»Müde kamen wir nachts um zwölf am Karsonnabend in Glogau an«, fährt Emilie fort, »ich freue mich auf den Ostersonntag, auf das Gesicht meines Mannes, der nicht weiß, dass wir schon kommen, denn auf seine Bitte hin habe ich nur ›Zu Befehl‹ als Antwort telegraphiert.« Und so schlich sich die kleine Familie am darauffolgenden Tag in das Zimmer, in dem Fritz liegt:
»Die in den Betten liegenden Kranken schauen auf. Ich lege einen Finger über den Mund und deute auf meinen Mann, der aufgebracht und mit uns zugekehrtem Rücken aus dem Fenster sieht und mürrisch brummt ›und sie sind nicht gekommen‹. Ganz leise schleiche ich also auf Zehenspitzen zu ihm hin und erwische ihn gerade in dem Moment, als er sich umdrehen will. Sein Gesichtsausdruck war gar zu
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