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Meine Mutter, die Gräfin

Meine Mutter, die Gräfin

Titel: Meine Mutter, die Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Hirdman
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vermutlich nicht dazu durchringen konnte, sie wegzuschmeißen. Briefe, die von Liebe sprechen:

    »Bin wirklich ich das, die so darauf brennt, Deine liebkosenden Hände zu spüren und Deiner Stimme zu lauschen, die mir liebevolle Zärtlichkeiten zuraunt? Es ist schon eigenartig, wie viele schöne Worte mir in diesen Tagen nicht mehr einfallen wollen. Heute Morgen habe ich es kaum ausgehalten. Und obwohl heute Sonntag war, bin ich aufgestanden und habe hart gearbeitet. Ich schreibe
jetzt an Dich, bevor ich ins Geschäft gehe, obwohl ich mir doch selbst geschworen habe, solche Worte nicht zu sagen. Was nützt es schon? Du bist in Bukarest und ich in Radautz, und der Marconi-Apparat [Funktelegraf] ist immer noch nicht ausgereift genug, um die Funktionen, die ich mir wünschen würde, zu erfüllen. Mein Liebling, ich hoffe, dass Du diesen Brief, den ich Dir trotz allem sende, nicht aufbewahrst. Ich liebe Dich so sehr, dass es nach zwölf Ehejahren schon fast lächerlich ist. Für mich ist es wie das, was Du über die Sehnsucht schreibst. Wenn ich Dir doch nur einen Kuss geben könnte! «

    Briefe, in denen sie von den Kindern erzählt:

    »Lottie ist ein ausgewachsener Schelm ohnegleichen – sie verwendet all ihre Lateinkenntnisse dazu, Otto zu beschimpfen. Otto verlangt dann nach einer Übersetzung und prägt sich auf diese Weise jede Menge lateinisches Vokabular ein. Er dagegen besitzt eine Geistesgegenwart und Zungenfertigkeit, die verblüffend ist. Leni ist ganz und gar Frauchen und besorgt ihre Puppenwirtschaft. Lottie und Leni werden immer schöner und ich immer stolzer auf meine Sprösslinge. Und obwohl wir doch nichts als Atome im Weltall sind, freue ich mich nichtsdestotrotz über diese kleine, ganz kleine Welt, die ich mir geschaffen habe. […] Wir haben weder Milch noch Butter. Die Kinder trinken auch schwarzen Kaffee und haben sich daran gewöhnt.«

    Und Briefe, in denen sie von den Geschäften erzählt – ja, sie handeln vor allem von den Geschäften, in denen es um alles Mögliche ging, längst nicht nur um Bücher. Im Frühjahr 1918 beschreibt sie auf drastische Weise ihre Tauschhandelskette: Sie tausche Bohnen gegen Fleisch, Likör gegen Mehl, Eier gegen de café en conserve , ja, gegen alles, was man sich
nur denken könne! – Am 17. April habe sie sogar etwas Milch habhaft werden können …

    »Wenn es irgendwie geht, schick mir Mehl. Hier kommt vieles aus Rumänien und das muss man teuer bezahlen; 14 Kronen das Kilo. Wenn man überhaupt welches auftreiben kann. […]
     Du bittest mich um Geld, wo ich doch selbst nicht viel zur Verfügung habe. Ich musste sogar von Struad [vermutlich einer der Buchhandelsgehilfen] Geld leihen, von dem ich ihm heute Morgen wieder 4300 Kronen zurückgegeben habe, damit er in Czernowitz Alben und Stifte kaufen kann. Und ich habe Geld umgetauscht, um es an T., der die neuen Karten für mich druckt, schicken zu können – 220 Mark à 1,60 Kronen. Auch diese Summe ist nicht zu unterschätzen. Und die Vorschulbücher und die fürs Gymnasium; alle trudeln sie jetzt ein! Die Tageskasse weist keinen schlechten Umsatz auf – gestern 293 Kronen, am Freitag 760 Kronen, am Sonnabend 299 Kronen, am Sonntag 419 Kronen und heute bis jetzt über 260 Kronen. […] Man muss den Stier nur bei den Hörnern packen, dann geht's auch!!! Na, was sagst Du dazu?«

    Ja, was sagt er dazu? Ist er stolz auf seine »kleine Ehefrau« oder schimpft er sie in seinen Briefen aus und kommandiert sie herum: Tu dies! Kauf das! Kontaktier den und den! Schick mir Geld! »Mein verehrter Gatte mit der schlechten Laune«, schreibt sie irgendwann einmal, und so könnte man ihre in unzähligen Briefen an ihn erteilten detaillierten Auskünfte durchaus als eine Antwort auf Forderungen seinerseits verstehen. Allerdings lassen sie sich ebenso gut als ein fortlaufendes Gespräch zwischen zwei Geschäftspartnern deuten, die sich in diesem eigenartigen Kriegsjahr 1918 gegenseitig unterstützen.
    Im Oktober, unmittelbar vor dem Friedensabkommen, erkranken sie an der Spanischen Grippe – Emilie, Lottie, Leni und der kleine Otto; an dieser vernichtenden Pandemie, die so viele Millionen Menschen das Leben kostete. Aber sie überleben – trotz einiger schrecklicher Tage und Nächte, wie sie ihrem Mann schreibt. Und wo befindet er sich? In Bukarest? Was macht er da? Ich weiß es nicht. Ich glaube, dass er ebenfalls krank ist. Aber bald wird er nach Hause kommen. Der Krieg ist vorbei, die Mittelmächte haben ihn

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