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Meine Mutter, die Gräfin

Meine Mutter, die Gräfin

Titel: Meine Mutter, die Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Hirdman
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Spannungen machte sich in dieser einst so gastfreundlichen Stadt breit. Als das Stadttheater 1919 Schillers Die Räuber inszenierte, stürmte eine Gruppe junger ukrainischer Männer das Theater und zettelte eine Schlägerei an. Sie protestierten nicht gegen Schiller – sondern dage
gen, dass die Hauptrolle, wie sie glaubten, von einem Juden gespielt wurde.
    Schließlich erblickte die antisemitische »Liga zur National-Christlichen Verteidigung« ( LANC ) das Licht der Welt, infolge dessen jüdische Studenten offen diskriminiert wurden. 1926 hatten jüdische Schüler einen Prüfer zur Rede gestellt, weil er fast alle jüdischen Abiturienten durchfallen ließ. Daraufhin protestierte David Fallik, ein junger Oberschüler, und wurde von einem anderen hitzköpfigen jungen Patrioten erschossen – der zwar ins Gefängnis geworfen wurde, aber rasch wieder freikam und zu einer Art Nationalheld avancierte. Ein weiterer erschütternder Fall war der des von rumänischen Polizisten ins Gefängnis geworfenen und zu Tode gefolterten Orchesterleiters Edi Wagner.
    Doch was war mit den Deutschen? Die sogenannten Volksdeutschen in der Bukowina schlossen sich offenbar dem antisemitischen Lager an. Als Alfred Klug 1939 das Bukowiner Deutsche Dichterbuch herausgab, fand sich nicht ein einziger jüdischer Name mehr darin. Zu dem Zeitpunkt hatte sich so manches in der Welt ereignet; 1918 war lange her und auch die Schledts wohnten nicht mehr in der Region. Aber natürlich stelle ich mir Fragen. Was hatte diese Rumänisierung für die reichsdeutsche Buchhandlung E. Schledt wohl für Konsequenzen? Wie erging es der Familie jetzt, wo Radautz Rădăuţi ausgesprochen wurde?
    Nachkriegszeit – die 20er Jahre
    Ich glaube ja, dass es ihnen recht gut erging. Anfangs zumindest. Dem Chronisten Franz Wiszniowski zufolge, der einen Text über Radautz' älteste Buchhandlung verfasst hat – ein Text, auf den ich im Internet gestoßen bin –, hatte das keinerlei katastrophale Auswirkungen. Obwohl sich der flinke Schledt der neuen Lage zuerst anscheinend gar nicht anzupassen schien, im Gegenteil:

    »Gleich nach der Übernahme der Buchhandlung hat Schledt den Betrieb auf den reinen Buch- und Papierhandel umgestellt. Nach dem Krieg hat er auch den Verkauf von Papier- und Schreibwaren sowie von rumänischen Büchern eingestellt und sich dann als einziger Buchhändler in ganz Rumänien ausschließlich auf den Verkauf und die Lieferung von deutschen Büchern und Zeitschriften beschränkt. Unter anderem belieferte er auch den rumänischen König Carol II . mit deutschen Büchern.«

    Nanu? Ist aus Fritz jetzt etwa ein Supernationalist oder ein Idealist, der das wahre Deutschland verteidigen will, geworden? Oder vielleicht nur ein cleverer Geschäftsmann? Sprach König Carol II . überhaupt Deutsch? Gab es genügend Kunden für so etwas? Aber ja, so scheint es gewesen zu sein – in Czernowitz lag die kulturelle Macht nach wie vor bei den Deutschen, und die Anzahl der deutschsprachigen Juden nahm trotz der neuen antisemitischen Atmosphäre nur geringfügig ab. Die große Katastrophe sollte erst mit dem nächsten Weltkrieg eintreten.
    Doch zurück zu Wiszniewskis Chronik:

    »Die Buchhandlung verfügte, wie nur wenige in Rumänien, über ein ausgezeichnetes Katalog- und Nachschlagmaterial, das über alle Werke des deutschen Verlagsbuchhandels Auskunft gab. So war aus der ältesten Radautzer Buchhandlung eine deutsche Buchzentrale entstanden, die mit den modernsten Mitteln, wie sie damals in Deutschland zum Teil erst zur Diskussion standen, arbeitete. Dazu gehörten auch die Buchausstellungen, die Schledt in Czernowitz und Radautz veranstaltete, ferner die Herausgabe der Bursa cartilor , d.h. eines Bücheranzeigers für Rumänien, der die mangelnde Biografie der in Osteuropa erschienenen Bücher ersetzte, sowie eines Einblattkataloges
[Fritz' Lieblingsidee – so etwas wie Werbeblätter für einzelne Bücher]. Auch veranstaltete Schledt Wanderausstellungen im Auto, die für Dorf und Stadt bestimmt waren. Mit der Buchhandlung war eine Leihbibliothek verbunden, die mit über 3 500 Werken die größte in Radautz war.«

    Auf geht's, Fritz? Die Roaring Twenties? Die Fotos bekräftigen das: Da sehen wir die Familie in einem neuen Auto, da beim Reifenwechsel, da lachen sie vor dem Deutschen Haus, da steht der Buchhändler mit einem Mann aus der Provinz – seiner Kleidung nach zu urteilen – vor seinem Geschäft (aber weshalb steht da E. Schledt auf dem Schild?),

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