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Meine Mutter, die Gräfin

Meine Mutter, die Gräfin

Titel: Meine Mutter, die Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Hirdman
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exzentrischen Eugen Diederichs geleitet. Fritz hat eine entscheidende Rolle dabei gespielt, dass sie die Stelle überhaupt bekam – und sie auch behalten durfte. Anfangs lief es nicht besonders gut, wie sie 1926 zwei Tage vor Heiligabend an den lieben Lau – ein Freund, der anschließend aus dieser Geschichte verschwindet – schrieb. Ihre Stenografie sei miserabel gewesen, »und wenn Papa nicht mit Herrn Diederichs befreundet gewesen wäre, hätte er mich nach Hause geschickt«.
    Im Verlag werden Märchen und Schriften über Magie, Germanenkult, über den Mythos vom »Reich« – von Blut und Boden – und die deutsche Volksseele veröffentlicht; ganz so, als ob es den Krieg nie gegeben hätte. Daneben gehören Schriften von Nietzsche, Reihen mit Titeln wie Die Deutsche Volkheit und Das alte Reich zum Verlagsprogramm, und der Verleger Herr Diederichs höchstpersönlich behandelt seine Angestellten, als seien sie Angehörige seiner Familie.
    Trotzdem war er kein Reaktionär, sondern eine Art Demokrat und ein Kulturradikaler, ein moderner Mann, der im krisenbewussten und auf Reformen ausgerichteten beginnenden neuen Jahrhundert wirkte. Er war ein Verfechter des befreiten, reformierten Individuums und verehrte unsere »Tante«, die schwedische Reformpädagogin Ellen Key, die er sogar einmal dazu bewegen konnte, an einer seiner Sonnenwendfeierlichkeiten zu sprechen, die er zu inszenieren liebte. Ein Modernismus, der Emilie gefallen hätte. Aber ihrer Tochter, einer Zwanzigjährigen?
    Da sehe ich sie durch die Tür des grünen Geschäftshauses
gehen, das den Verlag beherbergt, der neben der Firma Zeiss liegt. Und da ist sie auf den einmal im Monat stattfindenden Gemeinschaftsabenden des Verlags, schart sich mit den anderen im Kreis um Vater Diederichs, »der sich einen Heiligenschein aus Messing auf den kahlen Kopf gesetzt hatte, Geschenk eines Klosters«. Die Balladendichterin Lulu von Strauß und Torney – seine zweite Ehefrau – serviert ihnen Tee und Gebäck, und dann fassen sie sich an den Händen und singen die Verlagshymne: »Wir sind die Herren der Welt …«

    Unter ihnen befindet sich auch Alexander. Er ist es auch, der uns die eben erwähnten Informationen über Diederichs mitteilt. Im Dezember 1923 war er als ein neuer Mann, mit einer neuen Weltanschauung (noch in den 1920ern war das Bedürfnis nach einer »Weltanschauung« eine Art »Muss« für jedes gebildete, denkende Individuum; ich habe mich immer gefragt, um was es sich da handelt) und einer vertieften Erkenntnis darüber, wie die Welt »da unten« aussah, zu seiner Familie nach Neustrelitz zurückgekehrt. Wie sein guter Freund, der Kommunist Heinrich in Hamborn, gesagt hatte: »[…] ich weiß, du würdest niemals mehr gegen Arbeiter kämpfen!« Nein, nie mehr. In seiner Autobiografie drückt er das mithilfe von Brechts Die Heilige Johanna der Schlachthöfe aus:
    »Denn es ist eine Kluft zwischen
    Oben und unten größer als
    Zwischen dem Berg Himalaja und dem Meer.
    Und was oben vorgeht
    Erfährt man unten nicht.
    Und nicht oben, was unten vorgeht.
    Und es sind zwei Sprachen oben und unten
    Und zwei Maße zu messen.
    Und was Menschengesicht trägt
    Kennt sich nicht mehr.«

    Und damit wird uns sogleich begreiflich gemacht, dass es ihm, Stenbock, ja, dass es ihm gelungen ist, diese Kluft zwischen oben und unten für sich persönlich zu überbrücken. Und daran arbeitet er auch weiterhin, so im Sommer 1924, als er seinen Lebensunterhalt auf eine höchst mittelalterliche Weise bestreitet, indem er durch die deutschen Dörfer zieht und Puppenspiele aufführt. Mit Kasperlepuppen … Er und der Puppenschnitzer nächtigen in Scheunen oder Bierstuben und sammeln jede noch so müde Mark ein, die die Kinder ihnen geben …
    Stenbocks Welt besteht wirklich aus lauter Seltsamkeiten, Lügenmärchen und Abenteuern. Eine Zeit lang machte er eine Buchhandelslehre in einer Hamburger Verlagsbuchhandlung, die Karl Marx' Das Kapital verlegte. Darüber kam er auch an seine nächste Arbeitsstelle: Er sollte die Bibliothek von Joachim von Winterfeldt-Menkin auf dessen Gut in Brandenburg auf den neuesten Stand bringen. Dort schreibt er auch an seinem ersten Buch über seine Erlebnisse als Bergarbeiter, während er gleichzeitig wieder die Vorzüge – fast wie in alten Zeiten in Riga, mit Ausflügen und Pferderennen, Bällen und Festen des Offizierskorps der Reichswehr in Pasewalk, einer Kleinstadt in der Nähe – des Adelslebens genießt.
    Danach schickt er sein

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