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Meine Oma, Marx und Jesus Christus: Aus dem Leben eines Ostalgikers (German Edition)

Meine Oma, Marx und Jesus Christus: Aus dem Leben eines Ostalgikers (German Edition)

Titel: Meine Oma, Marx und Jesus Christus: Aus dem Leben eines Ostalgikers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Steimle
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Gebot, dessen Kenntnis er in diesem Fall voraussetzte.
    Fallen Ihnen noch mehr Gebote ein? Ach ja: »Du sollst den Feiertag heiligen!«, ein sicherlich auch für Jesus wichtiges Gebot. Nun war Jesus aber alles andere als ein dogmatischer Gebotebefolger, eine Tatsache, die ihm die Schriftgelehrten und Pharisäer sehr verübelten. Jesus heilte auch am Sabbat, wenn es nötig war, und das sogar des Öfteren.
    Für ihn brach auch die Welt nicht zusammen, wenn sich seine Jünger mal nicht die Hände wuschen, auch wenn es die Vorschriften verlangten.
    »Du sollst Vater und Mutter ehren! Ehre und die damit verbundene Achtung gegenüber Menschen heißt Respekt, Zuhören, Annehmen, aber auch Wachsamkeit, letzten Endes auf der Hut sein. Jesus ermahnte seine Jünger nicht umsonst wiederholte Male zur Wachsamkeit.
    Nichts, aber auch gar nichts, ist sicher, das ist sicher. Lob dem Unsicheren! Es kommt doch immer ganz anders als ausgemacht, und dann brauchst du das Geländer, eine Struktur, einen geregelten Tagesablauf, der kein Hetzen zulässt.
    Ich brauche Ruhe, Gewissheit, das beruhigende Ticken meiner Standuhr. Zeit ist Gnade. War Jesus arbeiten? Jesus hat uns das Finden von Ruhe vorgemacht. Er suchte zu seiner Besinnung die Stille der Wüste oder des Berges. Nun finden wir in Dresden oder Berlin aber kaum einen so idealen Platz der Stille, das dürfte uns sehr schwerfallen, aber ein einigermaßen
ruhiges Plätzchen und Zeit zum Ausruhen und zur Besinnung sollten wir finden, möglichst jeden Tag.
    Mir hilft das, weniger Angst zu haben vor dem, was schwer zu bewältigen ist. Und alles, was mir Angst nimmt, macht mich ruhiger und damit gewissenhafter.
    Es war immer schon für viele Menschen tröstlich zu wissen, dass auch Jesus nicht ohne Angst und Zagen war. Er war nicht der tapfere furchtlose Held; er konnte auch kleinmütig sein, und er hatte schlimme Angst vor dem Tod am Kreuz.
    Meine Begegnung mit Ihm ist von Langfristigkeit geprägt. Ich will nicht eilfertig dahinsagen, was ich mit Ihm zu schaffen habe oder hatte. Umgekehrt, genau umgekehrt wird ein Schuh daraus: »Herr Jesus, kümmere dich bitte auch weiter um mich.« Das sage ich hoffend, aber auch zweifelnd.
    Ja vielleicht ist es das: der Zweifel. Ich zweifle, ich zweifle. Ein herrlicher Widerspruch! Ich=Zwei. Da waren es schon zwei. Das heißt, ich bin nicht allein und im Zweifelsfalle ist der Zweifel eine Falle?
    Dieser Exkurs in die Sprachanalyse überzeugt Sie nicht? Sie haben da Ihre Zweifel? Gut so! Geht mir ähnlich. Ist aber doch ein ganz, ganz kleines bisschen einleuchtend, oder?
    Zum Leben gehört für mich der Zweifel. Solange ich zweifle, bin ich bei Gott. Das Leben selbst aber ist kein Zweifel, es will erobert sein. »Erkenne dich selbst«, heißt das Orakel von Delphi. Aber was heißt das, bedeutet dieses »Erkenne dich selbst!«? Für mich heißt es, dass ich Fehler haben darf. Ich bin ein Mensch mit Fehlern, Gott sei Dank.
    »Naja … Nee … Nu…«
    Das ist zutiefst sächsisch und drückt ganz wesentlich aus, worum es beim Sachsen geht. Dieses Bekenntnis zum Leben zeigt ganz einfach: Er kann sich nicht entscheiden, der Sachse; er ist ein großer Zweifler. Mit derselben Bestimmtheit, mit der er aus vollem reinstem Herzen sagt: »Ja!«, kann
er mit ehrlichem Gefühl im Bruchteil der nächsten Sekunde kundtun: »Nein!«, um dann umso überzeugender das bisherige Geschehen zusammenzufassen zu einem für ihn völlig logischen: »Nu.« Er zweifelt, deshalb ist er Gott nah, auch in Bad Gottleuba. Und wenn die Welt morgen untergeht, dann geht sie in Sachsen einen Tag später unter, denn wir zweifeln auch daran, da wir ja Zweifler sind. So auch ich. Ja ich gebe zu, ich zweifle, aber ich verzweifle nicht.

Spaziergang durch das Grüne Gewölbe
    Als ich ein kleiner Junge war, sagte meine Mutti oft am Wochenende: »Komm, mein Blondköppel, heute gehen wir ins Schloss zu unserm König. Danach ins Grüne Gewölbe, und dann gehen wir noch Eis essen in die Kondi.« Das war l968 in Dresden. In Dresden ins Schloss gehen hieß: Über die Dimitroffbrücke mit der Viere fahren und aus der Bahn gezeigt bekommen: »Da hat er gewohnt. Überm Georgentor. Unser König. Den Übergang, siehste den, der führte direkt vom Schloss in die Hofkirche, damit unser König nicht das ganze Volk sehen musste.« So sprach meine Mutti laut in der voll besetzten Straßenbahn. Gerade war sie frisch aufgenommen in die Partei. Am Theaterplatz stiegen wir aus. Ich zog noch einmal meine

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