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Meine Oma, Marx und Jesus Christus: Aus dem Leben eines Ostalgikers (German Edition)

Meine Oma, Marx und Jesus Christus: Aus dem Leben eines Ostalgikers (German Edition)

Titel: Meine Oma, Marx und Jesus Christus: Aus dem Leben eines Ostalgikers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Steimle
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»Bohnenkaffee« ist seit 1672 in Sachsen angekommen und bezeichnet uns als echte Genießer. Egal, wie dünne alles daherkommt. Der Verzehr des luxuriösen Türkentrankes galt als sinnvolle Freizeitbeschäftigung bei Hofe. Das war somit der Vorläufer der Wellnessbewegung.
    Das Dresdner Prunkservice unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt von vergleichbaren Stücken dieser Zeit. Es ist nicht nur ein barockes Gesamtkunstwerk, sondern auch, und vor allem, der Idee des Tafelaufsatzes verpflichtet.
    Es ist funktional, wenn auch nicht benutzbar. Unbenutzbar, aber repräsentativ.
    Voll spielerischer Eleganz und sicher ein willkommener Zeitvertreib für Plaudereien. Was gab es da nicht alles zu entdecken! Ganze Geschichten waren im goldenen Kaffeesatz ablesbar.
    Auf einem Deckel der Schwanendosen beispielsweise findet sich eine Darstellung aus Ovids »Metamorphosen«. Der römische Dichter beschreibt, wie der Jäger Aktaion unvermutet im Wald der Jagdgöttin begegnet, die gerade mit ihren Nymphen ein Bad nimmt – nackt – und er guckt auch nicht weg. Im Zorne der Überraschung, sozusagen im Affekt, verwandelt die Göttin Aktaion in einen Hirsch. Der arme Kerl wird von seinen eigenen Hunden gehetzt und zerrissen. Ist das nicht furchtbar? Hätte er die Hunde zur Ausbildung gegeben, könnte er noch leben. Zwar als Hirsch. Aber der hat ja auch seine Möglichkeiten!
    Übrigens sind die beiden ovalen, reich verzierten Golddosen von 11 cm Länge und 6,4 cm Höhe.
    Elfenbeinputti müssen die Dose buckeln. An deren Längsseiten sind Delfinpaare aufgesetzt, üppig mit Brillanten prahlend. Wie Brezeln schmücken zwei weiß emaillierte mit den Hälsen verschränke Schwäne die Dosenhenkel. Und sie schmücken eben nicht nur. Sie dienen auch: Als Henkel.
    Überhaupt, die Schwäne – Lieblingsmotiv des Grafen Brühl, der später ein ganzes Service, das so genannte »Schwanenservice«, anfertigen ließ. Das aber schon aus Meißner Porzellan. Für August den III. Das war sozusagen ein kulinarischer Fortschritt. Emaille gilt als guter Leiter und ist deshalb ungeeignet für Heißgetränke. Dank Böttgers Erfindung, Europas erstem Porzellan – unserem Meißner – war es möglich, den Bohnenkaffee aus geeigneteren Behältnissen zu genießen, ohne Verbrühungen zu erleiden oder gar schlimme Brandverletzungen. Was ja nicht gerade genussfördernd ist, nach dem Motto: »Erst kommt das Trinken, dann kommt das Spital.«
    Durch die Erfindung des »Weißen Goldes« konnte unser Bohnenkaffee seinen Siegeszug um die ganze sächsische Welt antreten.
    Je nach Vornehmgrad wird der Kaffee wahlweise »geblumbbd« (in großen Schlucken getrunken), geschlürft oder bloß gezutscht.
    Zum Beispiel aus dem Mokkatässel. So eine Art Mokkatässel bilden diese vier cm hohen Koppchen samt Untertasse. Sehr, sehr aufwändig und mit sicherer Hand bemalt wurden die dünnwandigen Gefäße aus purem Gold. Eine einzigartige Perfektion, auch an den äußerst schwierig zu bemalenden Innenflächen. Ein Farbenrausch, der nie aufdringlich wirkt, strahlt seit nun mehr als 300 Jahren in wahrhaft majestätischer Souveränität.
    »Da wirste bleede«, sagt der Sachse da oder noch kürzer: »Wahnsinn!« Vornehme Leute vom »Hirsch«, dem Weißen, murmeln gar: »Pittoresk«, einfach nur »pittoresk.« Mehr ist
aus denen sowieso nicht rauszukriegen. Auf den Untertassen befinden sich entzückende Miniaturen mit zum Teil barbusigen Weibsbildern, ebenfalls »pittoresk«. Den Blick Augusts hätte ich sehen wollen, als er zum ersten Mal das Koppchen hob, nichts ahnend, und dann: … herrjemineh! … Erkannte er womöglich die eine oder die andere Hofschönheit?! Vielleicht hatte Dinglinger ganz bewusst ein pikantes Frauenzimmer auf die Unterschale gezaubert? Hier, hier bei einer Dame ist sogar die Perlenkette zerrissen! Wer zerriss sie? Musste am Ende das goldene Kaffeezeug gekauft werden, weil Staatsgeheimnisse auf den Untertassen prangten? Derartige Klatschgeschichten drangen freilich nicht zum Volke. Ehe alle Untertanen die Untertassen gesehen … Außerdem: Es gab ja nur ein goldenes Kaffeegeschirr. Schon damals war Masse nicht Klasse.
    August der Starke wird vermutlich diskret schmunzelnd das Koppchen auf die Unterschale zurückgestellt haben, nicht ohne Dinglinger dabei eindringlich anzusehen, um sich dann flugs den mythologischen Darstellungen des Ovid auf dem Restgeschirre zu widmen.
    »Wie der Herre, so’s Gescherre.« Die Unterseiten der Untertassen verbergen

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