Meine Oma, Marx und Jesus Christus: Aus dem Leben eines Ostalgikers (German Edition)
zum Teil derbe Überraschungen:
Ein adliger Herr beispielsweise schlägt vornehm sein Wasser in einen Eimer ab, extra gehalten von einer Dorfschönheit. Obszön, aber schön.
Allegorien, wohin das Auge schweift. Die Luft beansprucht Ikarus, Daphne darf die Erde sein. Für das Wasser zeichnet die schaumgeborene Venus verantwortlich, und wer übernimmt das Feuer? Hephaistos? Nein, Medea.
Die Farbenpracht und Vielfalt der Emaillierarbeiten von Georg Friedrich Dinglinger, dem kongenialen Bruder Johann Melchiors, konnten erst Jahrzehnte später in der Technik der Porzellanmalerei wiedergefunden werden. Auch darum ist das goldene Kaffeezeug auf der Welt einzigartig.
Was mich im Zusammenhang mit dem ganzen Geschirr brennend interessiert: Aß man damals, Siebzehnhundertundäppelstücke, auch schon Kuchen zum Kaffee? Vielleicht sogar unsere sächsische Eierschecke? Buk die Königin solch königlichen Kuchen? Solche Fragen sind wichtig. Sie sind das A und O. Denn nicht umsonst nennt man uns »Kaffeesachsen«. Das muss ja irgendwo herkommen. Und zum Kaffee braucht es Kuchen. Und der muss ja auch irgendwo herkommen. Natürlich, damit man den Kaffee nicht so trocken runterwürgen muss. Und weil wir gerade dabei sind: Alle Welt redet heute von »Muffin«. Muffin! Früher war das Rührkuchen. Und der erblickte das Licht der Welt bekanntlich in Sachsen. Und zwar als »Bäbe«. Und saftige Bäbe nennen wir »Glansch«. Das war jetzt geflunkert. Aber dass Sie sich in Kaffeesachsen befinden, das stimmt. Wirklich!
Langsam, aber sicher, sollten wir uns nun vom »Goldenen Kaffeezeug« verabschieden. Einerseits drängelt die Zeit, andererseits will ich Sie nicht langweilen, und es erwarten uns noch Höhepunkte über Höhepunkte.
Der Höhepunkt des goldenen Kaffeegeschirrs ist die Kanne. Mannomannomannomann! Aus purem Gold, mit vielen Edelsteinen locker drapiert und bekrönt mit einem Frosch, der als Knauf den Schild mit den Königsinitialen hält. Oh, schwelgerischer Barock! An alles wurde gedacht. »Ein Frosch, der einst ganz unten war, behauptet nun die Kanne gar.«
Ein Froschkönig. Glitschig und feucht, sollte er als Wärmeableiter dienen für königliche Finger.
Ein Juwel in des Wortes wahrer Bedeutung ist dieser »Dresdner Grüne«.
Ein wirklich sagenhafter Diamant! Ganz klar mein Lieblingsstück im Grünen Gewölbe. Er passt heute so sehr zu Dresden, weil: Er ist nicht der größte seiner Art, aber einzigartig. Und er ist soo schön grün. »Der grüne Tropfen« wird
dies reinste Schmuckstück auch genannt. Er besitzt beachtliche 41 Karat und verdankt seine Färbung der natürlichen radioaktiven Strahlung im Inneren der Erde. Wie lange der da gehockt haben muss! Lange Zeit gingen die Diamantenexperten davon aus, dass das grüne Wunder aus Brasilien stammt. Heute behauptet die Legende, Inder hätten nach ihm gebuddelt. Und als »grüner Tropfen« sei er Shah Jahan abgeluchst worden. Die Älteren unter Ihnen werden sich gewiss an ihn erinnern, denn das ist der, der auch das Taj Mahal hat bauen lassen. Sagenhaft ist auch sein Preis. 400 000 Taler! (Sie können den Mund wieder schließen!) Das sind nach heutigem Ermessen mit Mehrwertsteuer … Naja! Zum Vergleich: Das goldene Kaffeezeugs kostete 50 000 Taler. Gut, das war im Jahre 1701. Gut, es herrschte Inflation, vielleicht sogar Geldentwertung. Aber ich bitte Sie: Die sich zu der Zeit gerade im Bau befindliche Frauenkirche war anderthalbmal billiger, äh günstiger.
1742 kam er zu uns. Als König. Nach Sachsen. Der Grüne.
In seiner jetzigen Form ziert er zusammen mit 400 Brillanten eine Hutkrempe. Heute liegt der unschätzbare, unvergleichliche, unbezahlbare Grüne im Grünen Gewölbe, da, wo er hingehört.
August der Starke war schon ein großer Sammler. Aber August der Dritte, sein Sohn, überbot noch diese Leidenschaft. Und als der 1763 starb, erbte den Hausstein ein Dreizehnjähriger. Wieder ein August. Moment mal: August der Dritte starb 1763, das war 200 Jahre, bevor ich geboren wurde. 200 Jahre! Kinder, wie die Zeit vergeht! Meine Mutti. (In meiner Generation sagte man in Sachsen »Mutti« und nicht »Mama« oder »Mutter«.) meine Mutti hatte in ihrem Nachtschränkchen immer ein Bild von ebendiesem Diamanten. Ich erinnere mich genau, weil ich im zarten Alter von vier Jahren sonntags ins elterliche Bett durfte. Dort wurde einmal wöchentlich
rumgetobt, und zum Abschluss einer jeden Balgerei wurde aus dem Nachtschrank der Stein hervorgeholt. Nein, nicht das
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