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Meine Oma, Marx und Jesus Christus: Aus dem Leben eines Ostalgikers (German Edition)

Meine Oma, Marx und Jesus Christus: Aus dem Leben eines Ostalgikers (German Edition)

Titel: Meine Oma, Marx und Jesus Christus: Aus dem Leben eines Ostalgikers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Steimle
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Äquatordemse die Weite Sumatras erreicht hatte, also mich, floh sie in meine Arme und kicherte in einem fort rüber in die Schlafstube:
    »Karl Heinz, der Lommel hat uns das Leben gerettet.«
    Mein Vati, noch schlaftrunken: »Was, wo brennt’s denn?« »Ob du’s globst oder nicht, deine Schlübber sin angebrannt!«
    Vati war immer schuld, wenn ich’s nicht war. Dieses Mal wurden wir beide freigesprochen. Mutti nahm ohne Widerspruch die alleinige Schuld auf sich.
    Und ich wurde ausgezeichnet als jüngster Feuerwehrmann, mit einem Foto vor der entfalteten Truppenfahne … Nein, nein, das war jetzt geflunkert!
    Der jüngste Feuerwehrmann aus Dresden-Trachau bekam noch am selben Nachmittag einen extragroßen Eisbecher »Pittiplatsch« mit Schirmchen und echter Schlagsahne.

Der Shop
    Es fällt mir nicht leicht, über meine Intershop-Erfahrung zu berichten, und Sie werden gleich wissen, warum das so ist. Ich erröte vor Scham, und Reue plagt mich, wenn ich an mein unwürdiges Verhalten denke, das in hohem Maße gegen die Gebote der sozialistischen Moral und Ethik verstieß.
    Ich weiß gar nicht mehr, wer auf die Idee kam, vorm Intershop zu betteln. Allein war ich nicht, da bin ich mir sicher. Aber selbst wenn mir der Name noch einfiele – und er fällt mir doch tatsächlich in diesem Moment wieder ein – gilt es, diesen Zeitgenossen, besser Zeitzeugen, zu schützen, auch, und gerade heute, nach nunmehr 37 Jahren. Denn keiner weiß, mit welchen Schwierigkeiten demnächst noch zu rechnen ist, jetzt, da die Systemkrise immer offensichtlicher wird.
    Es war in der 6. Klasse, als wir mit unseren zwölf Jahren vor dem Motel Dresden herumlungerten. Direkt vor dem Eingang, nur zu passieren mit heiligen Scheinen, blockierten wir scheinheilig im Schneidersitz den Shop, wie er kurz und treffend hieß. Der Westen war schon damals englisch, genauer gesagt, amerikanisch, besetzt. Im wahrsten Sinn des Wortes.
    Und so war denn im Dresdner Motel kein Laden, kein Geschäft oder gar eine »Kaufhalle«. Nein, dort war der »Shop«.
    Wenn DDR-Bürger in den Shop gingen, dann taten sie es damals noch nicht, um zu »shoppen«; es ging ihnen vielmehr darum, begehrenswerte Dinge zu kaufen. Erst nach 1989 wurde dann »geshoppt« bzw. »geschoppt«, im Supermarkt, im Shopping Center und neuerdings auch im Backshop. (Bei diesem könnte ein Engländer arg ins Grübeln geraten, sollte er versuchen, hinter die Bedeutung des Wortes zu kommen.)
    Wir haben es ja in jüngster Zeit bei der Vergewaltigung
und Vermeidung unserer Muttersprache sehr weit gebracht, »herrlich weit«, um es mit Goethe zu sagen, dem die Muttersprache lieb und teuer war. Heutzutage schoppen wir nicht nur, nein:
    Wir jobben und mobben, toppen und floppen, brunchen und lunchen, chillen und killen, sailen und mailen, zippen und strippen, joggen und bloggen, stalken und walken und talken und talken und talken …
    Egal, ob im Smalltalk oder bei Talkshows, aber in jedem Fall ohne Gnade für unsere Muttersprache.
    Und wenn wir wie wild getalkt, gechattet, gebrainstormt, downgeloadet, getwittert, ge-e-mailt, designt, performt, gecastet, gecancelt, upgecyclet und outgesourct haben und unter Umständen dabei nicht in ausreichendem Maße mental gepusht, gecoacht und promotet wurden, dann sind wir letztendlich ausgepowert. Dann sind wir ausgeburnt, und der Psychiater kann nach einem Check unserer Psyche nur noch: »Birne aus!« diagnostizieren und uns Relaxen, Relaxen und nochmals Relaxen und vor allem viel Ruhe, viel, viel Ruhe verordnen.
    Was klingt schöner für Ihr Ohr: »Ich war glücklich.« Oder: »Ich war happy.«?
    Sie lieben die deutsche Sprache? »Outen« Sie sich ruhig, bekennen Sie sich zu diesem Luxus! Aber Sie haben keine Chance, dass man Sie ernst nimmt. Verständlichkeit der Sprache? Outgesourct! Duden? Ist zur Zeit ratlos und hoffnungslos überfordert.
    Aber zurück zum Thema:
    Wir saßen also vor dem Shop, um die Bürger mit den heiligen Scheinen um Geld anzubetteln, für einmal Tic Tac und später, das sei zu unserer Ehrenrettung gesagt, auch für die UZ. »Unsere Zeit«, so hieß die Zeitung der Kommunistischen Partei der BRD, aus der man vom Leben der aufrechten Menschen
und von ihrem heldenhaften Kampf gegen die Ausbeutung erfuhr.
    Die Bürger aus der BRD gaben uns 50 Pfennige, manche auch 2 Mark, und alle waren freundlich, elegant und auffallend gut riechend.
    Gut riechend, aber ausgebeutet. Wie passte diese Tatsache in die marxistische Theorie von der Natur

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