Meine Reise in die Welt der Gewuerze
Verständnis, Respekt und Demut sind die Grundlagen jeder Weiterentwicklung. Das habe ich in vielen Jahren als Küchenchef gelernt.
Dann werde ich Kamal vorgestellt, dem Initiator des Markts, der mir erklärt, welche große Idee hinter dieser kleinen Sache steckt: Der Markt ist der einzige Ort im Libanon, an dem die Angehörigen der verschiedenen Religionen und Volksgruppen gemeinsam essen und einkaufen, anstatt sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen. Christen, Drusen, Schiiten, Sunniten kommen mit Einkaufstaschen hierher, nicht mit Gewehren. »Das hier«, sagt Kamal vorsichtig lächelnd, »das ist nicht nur ein Markt. Das ist Versöhnung, wenigstens einmal pro Woche.«
Auch das also erlebe ich auf meiner Reise in die Welt der Gewürze: nicht nur Städte wie Damaskus, die auf einem Fundament aus Tausenden Jahren Geschichte ruhen, sondern ebenso Orte wie Beirut, die ihre Vergangenheit mutwillig vernichtet haben.
Gedankenverloren stehe ich an der Promenade, an der alles neu und nichts alt ist, zwischen angelnden Großvätern und Fußball spielenden Kindern, zwischen Teeverkäufern und Obstsaftpressern. Ich blicke auf das Meer und versuche mir vorzustellen, dass einst phönizische, dann griechische, später römische, schließlich venezianische Gewürzhändler über dieses Meer an die Küste des Libanon segelten, an der sie Zimt, Ingwer, Pfeffer, Nelken und Muskat gegen Gold tauschten. Hier landeten die Kreuzritter, um das Grab Christi in Jerusalem zu befreien und gleichzeitig an die Quelle der Gewürze zu gelangen. Und ganz nebenbei lernten sie im Heiligen Land die Küche der Kalifen mit ihrer grandiosen Kunst des Würzens kennen und brachten sie begeistert mit nach Hause. Es ist schwer, sich das alles vorzustellen.
»Wir leben in einer Stadt«, haben mir die Menschen in Beirut immer wieder gesagt, »die im Angesicht ihrer tragischen Geschichte gar nicht weiß, ob sie eine Zukunft hat, und deswegen die Gegenwart wie einen Tanz auf dem Vulkan in vollen Zügen genießt.« Nach mir die Sintflut, scheint das Lebensmotto von ganz Beirut und vor allem von jenen blendend schönen Frauen zu sein, die so aufreizend hochhackig die Uferpromenade entlangstöckeln, dass es jedem genierlichen Menschen die Schamesröte ins Gesicht treibt. Minirock statt Tschador, High Heels statt Burka – in Beirut ist es offenbar eine Sünde, seine Schönheit zu verbergen.
Die Menschen hier lieben jede Art von Fleischeslust. Ich habe einen Metzger gesehen, der sich auf einem Schild vor seinem Geschäft stolz »Kunsthandwerker des Fleisches« nennt. Ich bin in einem Feinkostgeschäft gewesen, das sich vornehm als »Boutique des guten Geschmacks« bezeichnet. Ich habe in einem winzigen armenischen Familienrestaurant, kaum größer als ein Esszimmer, die wunderlichsten Dinge gegessen: Bauchspeicheldrüsen, Knochenmark, Kalbshirn, allesamt geheimnisvoll gewürzt, und – als sei man im Schlaraffenland – gebratene Vögelchen in Granatapfelmelasse, nicht größer als eine Pflaume. Wo, wenn nicht hier, sollte ich die beste Küche des Morgenlands finden? Wann, wenn nicht jetzt auf meiner Geburtstagsfeier hoch über den Dächern von Beirut?
Es ist ein wunderbares Fest. Der Hausherr, ein Grandseigneur mit silbernem Haar, safrangelbem Seidentuch und tadellosen Manieren, ist glänzend in Form und unterhält mit großer Geste seine Gäste. Wir stehen dicht gedrängt und laut plappernd in seiner Küche, und im Rausch der Begeisterung erklärt er mir, dass die libanesischen Olivenöle direkt vom göttlichen Olymp kommen und die libanesischen Chilipasten die besten des Erdenrunds sind.
Jede Köstlichkeit, jede Kostbarkeit hält er mir zum Probieren unter die Nase, während um uns herum ein halbes Dutzend Köche ein Buffet mit allen Klassikern der libanesischen Küche zaubert: Es gibt das Kichererbsenmus Hummus, den Petersiliensalat Tabouleh, pürierte Auberginen, gebratene Wüstentrüffel, scharfe Bratwürste, Huhn am Spieß, gefüllte Weinblätter, Tatar von der Ziege, gewürzt mit Kreuzkümmel und Zimt, süßem Pfeffer und Zatar, einer Mischung aus Thymian, Sesam, Sumach, Salz und Olivenöl.
Und zur Krönung serviert man uns das Lamm, am Stück mit Kopf, perfekt gegart, das Fleisch zart wie eine Mousse. Nur eines fehlt ihm seltsamerweise: Gewürze.
Wieder gehe ich auf die Terrasse, schaue hinab auf die Lichter des Libanon, der jahrhundertelang eine Drehscheibe des Weltgewürzhandels war, und frage mich, warum in der libanesischen Küche so
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