Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen
Frau eigentlich?«
»Natürlich. Sie ist Dozentin für Philosophie und schreibt an Ihrer Dissertation.« Genau, und ich war Päpstin.
»Herr Nazukin, wir sehen uns morgen um elf in der Kanzlei.«
Den restlichen Tag zerbrach ich mir den Kopf über Mischa und Lena. Nach und nach reifte eine Idee in mir, die so simpel klang, dass ich mich wunderte, weshalb die beiden nicht selbst darauf gekommen waren. Einer angeblichen Dozentin traute ich mehr Problemlösungspotenzial zu.
Ich surfte zur Homepage der Universität Hamburg und war verblüfft. In der philosophischen Fakultät gab es tatsächlich eine Elena Nazukin, geboren in St. Petersburg, die an einer Dissertation mit dem Titel »Nichtmarxistische russische Geschichtsphilosophie am Beispiel der slawophilen und der eurasischen Philosophie« arbeitete. Nun gut, Mischa pflegte sein Image, ich meine Vorurteile. Beides konnte revidiert werden.
Als Punkt elf die Luden-Limousine auf den Bürgersteig schoss, war ich noch damit beschäftigt, dreißig weiße Lilien unterzubringen, die mir ein Kurier morgens in den Arm gedrückt hatte. Hand in Hand betraten die Nazukins mein Büro. Angesichts der Blumen lächelte Mischa versonnen.
»Ja, ja, die Liebe treibt seltsame Blüten …« Er zwinkerte mir zu.
»Ich dachte, fürs Philosophische ist Ihre Frau zuständig«, entgegnete ich knapp.
Die beiden blickten mich an wie zwei eifrige Schulkinder, die hofften, endlich die Geheimnisse des Pythagoras zu entschlüsseln. Zur Lockerung der Atmosphäre bot ich ihnen Pralinen an.
»Bitte nehmen Sie. Ich habe mehr als genug davon.«
Mischa griff erfreut zu.
Kurz umriss ich die bekannten Fakten: dass es offensichtlich zu wenig gemeinsam verbrachte Zeit gäbe, denn Lena lehre tagsüber an der Universität, Mischa sei nachts in seinen Bars beschäftigt. Das Thema Untreue und Eifersucht klammerte ich, um Sachlichkeit und Neutralität bemüht, bewusst aus.
Nun gelte es, den Alltag des Paares anders zu strukturieren. Da Lena vermutlich in der Gestaltung ihrer Arbeitszeit wenig flexibel sei, müsse man überlegen, ob Mischa einen Teil seiner Aufgaben tagsüber erledigen oder an eine Vertrauensperson delegieren könne.
»Wie soll das gehen?«, fragte Mischa.
»Wann machen Sie zum Beispiel Ihre Abrechnungen? Die Buchhaltung?«
»Wenn ich in den Clubs bin.«
»Sehen Sie, das sind alles Dinge, die Sie vormittags erledigen können.«
Dann schlug ich vor, dass Mischa zu seiner Unterstützung einen Geschäftsführer einstellen solle, der einen Teil der sonstigen Arbeit übernahm, so dass er selbst nur noch zu regelmäßigen Kontrollvisiten aufbrechen müsste.
»Geschäftsführer? Hmm …« Mischa kratzte nachdenklich seinen kahlen Kopf, seine Kiefer zermalmten ein weiteres Stück Schokolade.
»Sozusagen einen Stellvertreter. Das ist in der Geschäftswelt nicht unüblich.«
»Hmmm …« Mischa kaute und kaute.
»Vielleicht haben Sie schon einen engagierten Mitarbeiter, der dafür in Frage kommt. Oder jemanden aus der Familie, dem Sie unbedingt vertrauen.« Das war ein Schuss ins Blaue, aber ich ahnte, dass Familienmitglieder bei meinen Klienten einen besonders hohen Stellenwert besaßen.
»Sergej«, murmelte Mischa, »mein Neffe zweiten Grades. Ein cleverer junger Bursche. Er arbeitet für mich.«
»Sehen Sie«, rief ich, »das passt doch!«
»Aber Sergej kann nicht einfach …«
»Herr Nazukin, natürlich nicht. Das ist ein Prozess. Nach und nach werden Sie ihm mehr Aufgaben übertragen. Ich bin sicher, Sergej wird dankbar sein, von seinem erfolgreichen Onkel lernen zu dürfen.«
Ich hatte, wie erhofft, den richtigen Ton getroffen.
Mischa schlug sich auf die Schenkel. »Ah, das schätze ich an euch Deutschen: Ihr seid so wunderbar pragmatisch. Was für eine naheliegende und praktische Lösung. Dass ich nicht selbst darauf gekommen bin.«
Auch Lena machte einen zufriedenen Eindruck. »Ach, Mischa«, flüsterte sie, »das wäre wunderbar, wenn du nicht mehr so viel unterwegs wärst. Du könntest auch mehr Zeit in deinem Atelier verbringen.«
»Ihr Mann hat ein Atelier?«
»Ja, er malt. Abstrakt.«
Ein Bordellier, der sich in seiner Freizeit künstlerisch betätigte. Langsam begriff ich, dass nichts so sein musste, wie es vorgeblich war.
Beim Abschied stellte ich endlich die Frage, die mich die ganze Zeit über beschäftigt hatte und deren Antwort ich insgeheim schon wusste.
»Wie sind Sie eigentlich auf mich gekommen?«
»Sie sind uns empfohlen worden. Von guten
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