Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen
Hochzeit.«
»Paula, mach einfach. Ich bin mit allem einverstanden«, sagte er.
Seine nonchalante Verweigerungshaltung fing an, mir auf die Nerven zu gehen.
»Du bist russischer Staatsbürger, Artjom. Du brauchst bestimmt alle möglichen Unterlagen und Dokumente, um in Deutschland zu heiraten. Das ist alles gar nicht so einfach.«
»Doch, Schatz, ist es«, er lächelte mich zuckersüß an, »ich bin Jude. Schon vergessen?«
»Was hat das damit zu tun?«
»Das solltest du eigentlich wissen. Wofür heirate ich einen Advokaten?«
Er gab mir einen Klaps auf den Po und zog sich zu einem wohlverdienten Nickerchen zurück.
Klugscheißer, dachte ich und rief das Standesamt an – nur um zu erfahren, dass Artjom recht hatte. Als Kontingentflüchtling brauchte er nicht wie andere Ausländer ein sogenanntes Ehefähigkeitszeugnis aus seinem Heimatland vorzulegen. Pass, Geburtsurkunde nebst beglaubigter Übersetzung und eine Aufenthalts- und Meldebestätigung seines Bezirksamts würden völlig reichen, versicherte mir eine auskunftsfreudige Beamtin.
Bei dem Stichwort »beglaubigte Übersetzung« stellten sich mir die Nackenhaare auf. Diesmal würde ich die Sache in die Hand nehmen und auf Unterstützung aus dem Hause Polyakow verzichten. Ich bat Artjom um seine Geburtsurkunde, er versprach, sie schnell vorbeizubringen.
Er brachte nicht nur seine Geburtsurkunde mit. Als ich die Tür öffnete, versperrten ungefähr zehn riesige Kartons meinen Blick. Dahinter reckte Artjom seinen Kopf in die Höhe.
»Hier bin ich, Paula!«
»Das sehe ich. Was willst du mit den ganzen Kisten?«
»Da sind meine Sachen drin.«
»Sachen? Was für Sachen?«
»Paula, es ist an der Zeit, dass wir zusammenziehen. Wir werden heiraten.«
Er nutzte meine Verblüffung, um sich an mir vorbeizuschieben und sein Hab und Gut in meinem Flur abzustellen.
Rein theoretisch war mir klar, dass eine Eheschließung das Zusammenleben mit dem Partner nach sich zog. Praktisch hatte ich dieses Unterfangen noch nicht weiter in Erwägung gezogen. Wann auch?
Innerhalb weniger Monate war mein Leben vom Kopf auf die Füße gestellt worden – oder andersherum, da war ich mir nicht sicher. Nach wie vor tanzten die Östrogene in meinem Unterleib Punkrock. Wann sollte ich an so profane Dinge wie Umzug, Möbelrücken oder Bartstoppeln im Waschbecken denken?
Jetzt war es zu spät dafür. Artjom schuf Tatsachen.
Natürlich wäre ich vorher gern gefragt worden – pro forma. Denn was hätte ich anderes antworten können als: »Ja, Schatz, selbstverständlich ziehen wir zusammen. Wir sind bald Mann und Frau.« Das machte man schließlich so.
Dennoch legte sich eine Bleiplatte auf meinen Brustkorb, als Artjom begann, die Kisten auszupacken. Ich ließ mir nichts anmerken, wickelte Geschirr aus Zeitungspapier – »Vorsicht, Paula, das ist ein echtes chinesisches Teeservice!« – und stellte die zarten Tassen in die Küchenanrichte. Alle akribisch mit dem Henkel nach rechts ausgerichtet. Das half ein wenig.
Die Berge von Kleidungsstücken machten mich ratlos. Wohin damit? Artjom, der sich bei der schweißtreibenden Arbeit seines Pullovers entledigt hatte, zerrte mich aufs Bett und küsste mich.
»Ach, Paula«, seufzte er zufrieden, »morgen kaufen wir einen anständigen Kleiderschrank. Und ein neues Bett! Ich hab schon etwas ganz Schickes entdeckt, sechseckig, mit Spiegeln am Kopfende. Und einem roten Samtbezug.«
Sechseckig, mit Spiegeln und rotem Samt? Ich wollte nicht in einem Puff wohnen. Die Bleiplatte senkte sich wieder herab.
»Hmmpf«, erwiderte ich, »ich kann’s mir ja mal anschauen.«
»Es wird dir gefallen«, hauchte er in mein Ohr und knabberte an meinem Hals. Die Bleiplatte hob sich.
Artjoms Besitz bestand hauptsächlich aus Kleidung, Geschirr, Aktenordnern, einer unübersichtlichen Anzahl an Fotoalben, Kleinkram, der sich im Laufe der Jahre eben so ansammelt, und großformatigen Bildern.
Die Bilder waren ein Problem. Es waren weniger Bilder als vielmehr gestickte Gobelins, alle in Brauntönen gehalten, mit elegischen Landschafts- und Tiermotiven. Natürlich wollte er sie aufhängen. Nach seiner Schwärmerei für ausgefallene Bettgestelle und gegenständliche Kunst war ich froh, dass er wenigstens keine Möbel mitbrachte.
Während der letzten Monate hatte er die Wohnung eines Freundes eingehütet, der geschäftlich eine lange Zeit im Ausland verbringen musste, sein Hamburger Zuhause aber nicht aufgeben wollte. Ich war nie dort
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