Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen
mach, dass es nicht das ist, was ich denke. Vorsichtig entfernte ich das Klebeband und klappte den Deckel hoch. Im Inneren hockte mein Huhn und starrte uns an.
»Chuhnchen, läcker«, rief Irina und klatschte begeistert in die Hände.
»Irina«, seufzte ich, »rufst du bitte mal Frau Petrowa an und fragst sie, was das zu bedeuten hat?«
Irina griff zum Telefon, zwischen ihr und meiner Mandantin entspann sich ein längerer Dialog, in dessen Verlauf beide Gesprächsteilnehmer laut wurden. Am Ende schien sich aber alles zum Guten zu wenden, mit einem Lachen legte Irina auf.
»Und?« Gespannt sah ich sie an.
»Nun, verhält sich so: Frau sagt, Garten zu klein fur zwai Chuhnchen, außerdem Tochter krank, sie muss kummern, und ist dein Chuhnchen, du musst kummern.«
»Oh.«
»Chuhnchen ist super. Meine Babuschka hatte Chuhnchen und immer Eier.«
»Das mag sein. Aber ich kann das Huhn schlecht hier in der Kanzlei halten oder in meiner Wohnung.« Ich verfluchte den Tag, an dem ich mich auf den Eier-Deal mit Frau Petrowa eingelassen hatte.
»Dann kannst du Chuhnchen essen.«
»Genau, dann dreh’ ich ihm jetzt gleich den Hals um, und du holst schon mal ein Messer aus der Küche …«
»Kain Problem, lass uns machen.«
»Irina, das war ein Scherz. Ich bring doch kein Huhn um.«
»Nicht?«
»Nein, nicht!«
Sie zuckte resigniert mit den Achseln. Ich blickte in den Karton. Der selten hässliche Vogel duckte sich und gackerte verstört. Ich gackerte versuchsweise zurück. Nun reckte sich das Huhn, plusterte sich auf, hüpfte flügelschlagend auf den Boden und begann, auf dem Teppich zu picken und zu scharren.
Ob es Hunger hatte? Oder Durst? Ich holte eine Schale mit Wasser, stellte sie unter den Schreibtisch und beschloss, mich der Lösung dieses Problems später zu widmen.
»Irina, ich muss noch mal für zwei Stündchen weg, ich habe einen Termin. Solange kommt ihr beide doch klar, oder?«
»Kain Problem!«
Bildete ich es mir nur ein oder sah ich Mordlust in ihren Augen blitzen?
»Irina, lass die Finger von dem Huhn, okay?«
»Na gutt.«
Mein Termin war eine Verabredung mit Lena. Bei einem gepflegten Kaffee-Cognac wollte ich ihr mein Herz ausschütten. Die Präliminarien zu meiner Hochzeit fingen an, mir über den Kopf zu wachsen. Vor zwei Tagen hatte Darya mir einen Zettel mit ungefähr hundertfünfzig Namen unter die Nase gehalten.
»Was ist das?«, fragte ich Artjom.
»Die Gästeliste.«
»Aha. Und wer sind diese Menschen?«
»Freunde, Verwandte, Verwandte von Freunden, Geschäftspartner …«
»Ich kenn die alle nicht.«
»Dann wird es Zeit, dass du sie kennenlernst.«
»Aber doch nicht auf unserer Hochzeit. Ich will nicht mit lauter Wildfremden feiern. Und was ist eigentlich mit meinen Freunden und Verwandten?«
»Na, die schreibst du dazu, und dann macht Mam die Einladungen fertig.«
»Ach, deine Mutter schreibt die Einladungen? Auf Russisch, oder was? Das wird ja immer schöner!«
»Paula, es macht meiner Mutter so eine Freude, dieses Fest zu planen. Das bedeutet ihr sehr viel. Bitte verdirb es ihr nicht.«
»Ich es ihr verderben? Und was ist mit mir? Ich dachte, ich heirate, nicht sie …«
»Jetzt sei doch nicht immer so stur. Du kannst ruhig auch mal nachgeben.«
Ich schwankte kurz zwischen Heulkrampf und körperlicher Gewaltanwendung, zwang mich aber zur Ruhe.
»Schatz, weißt du, was?«, erwiderte ich. »Ich kläre das direkt mit deiner Mutter. Wir werden uns schon einigen …«
Rostislav hatte derweil ohne weitere Absprache die Location für die Feier gebucht. Seiner Ansicht nach gab es für die Sause des Jahres keinen besseren Ort als das »Baku«, ein russisches Restaurant in den Grindelhochhäusern.
Wie praktisch, dachte ich, lag doch unser Standesamt auch in einer dieser baulichen Scheußlichkeiten. Da konnten wir glatt durch Wind und Regen zu Fuß rübergehen.
Der Brautvater, streng genommen zuständig für die Ausrichtung des Events, zeigte sich hocherfreut über Rostislavs Initiative:
»Wunderbar, wer aussucht, der zahlt!«
Mutter fand die Idee einer russischen Hochzeit bezaubernd und fragte, ob denn auch eine Folklore-Gruppe aufträte. Mit Vater sprach sie nach wie vor nur das Nötigste. Ihr Verhältnis konnte man inzwischen als zerrüttet bezeichnen, da sie sich nicht einigen konnten, wer aus dem Dunstkreis des Hauses Matthes eingeladen werden sollte und wer nicht.
Mutter plädierte – ähnlich wie Darya – für alle Menschen, die man kannte. Vater
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