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Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen

Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen

Titel: Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Fröhlich
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antwortete folgsam und ausschweifend, blieb dabei aber immer im Ungefähren. Geschickt wich er allzu konkreten Fragen aus, während Vaters Blick sich in den Tiefen von Daryas Ausschnitt verlor.
    Das läuft ja ganz gut, dachte ich und beobachtete aus den Augenwinkeln, wie Wassja den dritten Buchsbaum aus der Erde schaufelte, während Rasputin versuchte, die willige Eika zu begatten. Leider reichte er mit seinen Vorderpfoten nur knapp auf ihr Hinterteil. Mit den Worten: »Bin gleich wieder da«, verschwand ich im Haus. Die anderen beachteten mich kaum, nur Sputnik folgte mir humpelnd.
    Im Kühlschrank meiner Mutter entdeckte ich die obligatorische Flasche Champagner, die für besondere Anlässe bereitgehalten wurde. Ich fand, dass heute ein besonderer Anlass war. Deshalb verfütterte ich auch Vaters Gänsestopfleber an Sputnik, der den feinen Happen im Bruchteil einer Sekunde herunterschlang.
    Als ich mit meiner Beute auf die Terrasse zurückkehrte, versuchte Vater gerade, seinen teuren Weimaraner vom zuckenden Rasputin zu befreien.
    »Sie war letzte Woche läufig«, stöhnte er, »nicht auszudenken …«
    Ich füllte die Gläser und wurde ein wenig feierlich: »Meine Lieben, jetzt möchte ich mit euch anstoßen. Ich freue mich so, dass wir hier alle zusammensitzen und uns so gut verstehen. Wo wir doch bald eine Familie sind!«
    Vater rollte mit den Augen, Mutter kicherte.
    »Und deshalb finde ich, dass sich alle Anwesenden das Du anbieten sollten.«
    Vater, der plumpe Vertraulichkeiten hasste, ließ das anschließende Prozedere aus nassen Küssen und innigen Umarmungen grollend über sich ergehen, Mutter schmiss sich begeistert in Daryas, Rostislavs und Artjoms Arme. So gelöst hatte ich sie lange nicht gesehen.
    »Ach, Karl, ist es nicht schön«, sagte sie.
    Nun zog Rostislav umständlich einen Zettel aus seinem Jackett, erhob feierlich sein Glas und hustete mehrmals.
    »Was kommt denn jetzt?«, fragte ich Artjom flüsternd.
    »Ich glaube, er hat eine Rede vorbereitet. Hoffentlich ist die nicht wieder so lang und reicht zurück bis zum Großen Vaterländischen Krieg«, flüsterte Artjom zurück.
    Sie war lang. In erstaunlich gutem Deutsch spann Rostislav die Geschichte seiner Familie über mehrere Generationen, streifte nur kurz den Großen Vaterländischen Krieg, berichtete von Entbehrungen, Verfolgung und Flucht, pries in epischer Breite die Vorzüge der neuen Heimat und endete mit der Prognose, dass durch die Verbindung dieser wunderbaren Kinder eine neue Ära anbrechen werde, ein weiteres Kapitel im Buch der Völkerverständigung.
    Darya tupfte sich mit einem Spitzentaschentuch Tränen aus den Augenwinkeln, Mutter klatschte euphorisch, Vater, der kurz eingenickt war, schreckte hoch und griff nach dem ukrainischen Schnaps.
    »Jetzt können wir alle einen vertragen.«
    Im Verlauf der nächsten beiden Stunden wurde die Flasche geleert, dann traten wir den geordneten Rückzug an. Mutter brachte uns, an Rostislavs Arm schwankend, zum Auto, Vater blieb zurück und blickte wie versteinert auf seinen ehemals englischen Rasen, den Wassja mit vollem Körpereinsatz in einen norddeutschen Acker verwandelt hatte.

[home]
    9
    D ie sind ja sehr nett, diese Polyakows«, flüsterte Mutter am Telefon.
    »Mama, ich versteh dich kaum. Kannst du etwas lauter sprechen?«
    »Nett. Und gar nicht dumm. Besonders Rostislav«, hauchte sie unbeirrt weiter.
    »Mama, ich höre dich nicht. Rufst du vom Handy an? Wo bist du denn?«
    »Im Keller.«
    »Wo?«
    »Im Keller!«
    »Wieso gehst du zum Telefonieren in den Keller?«
    Im Hintergrund war jetzt laut und deutlich Vaters Stimme zu vernehmen: »Luise? Wo bist du?«
    »Kind, ich muss Schluss machen. Ich melde mich heute Abend noch mal, dann ist dein Vater außer Haus.«
    Schon hatte sie aufgelegt. Der alte Herr teilte ihre Sympathie für die noch anzuheiratende Verwandtschaft wohl weniger. Das hatte ich auch nicht erwartet. In über sechzig Jahren redlich erworbene Ressentiments schüttelte man nicht einfach über Nacht ab.
    Umso mehr freute ich mich über die Reaktion meiner Mutter, die sich in ihrer Ehe bislang keine eigenen Gedanken zugetraut hatte. Auch wenn sie ihre neue Meinungsfreiheit vorerst nur im Keller auszuüben wagte.
    Überhaupt fand ich, dass der vorangegangene Tag besser gelaufen war als befürchtet. Vater hatte sich mit Unmutsäußerungen zurückgehalten, für seine Verhältnisse war er nahezu freundlich gewesen. Mutter – im Handstreich Rostislavs Charme erlegen – war

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