Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen
vertrat den Standpunkt: je weniger, desto besser.
»Ich habe einen Ruf zu verlieren, Luise! Von Paulas Abwegen muss ja nicht die ganze Welt erfahren.«
»Das ist immerhin die Hochzeit deiner Tochter, deiner einzigen Tochter! Dass du dich nicht schämst, Karl.«
»Ich soll mich schämen? Das ist doch alles eine Zumutung!«
Aus dieser Diskussion klinkte ich mich komplett aus. Ich hatte genug um die Ohren – und immer noch kein Kleid.
Von Lena erhoffte ich mir freundschaftlichen Rat, was den Umgang mit der bald anzuheiratenden Verwandtschaft betraf. Zerstreut rührte sie in ihrer Kaffeetasse, während ich mich über Daryas Einmischung und Artjoms Unfähigkeit, seiner Mutter Grenzen zu setzen, beschwerte. Sie lächelte mich an und sagte nur:
»Herzlich willkommen in einer russischen Familie.«
»Das ist alles, was dir dazu einfällt?«
Lena zuckte mit den Schultern. Mein Gejammer ließ sie kalt. »Paula, du heiratest einen Russen.«
»Ja und?«
»Russen haben ein ganz anderes Verhältnis zu ihrer Familie, viel inniger als ihr Deutschen. Ein russischer Mann hört auf seine Mutter – egal wie alt er ist. Du heiratest nicht nur Artjom. Du heiratest auch ein bisschen seine Eltern. Vor allem Darya.«
»Na klasse. Und wo bleibe ich dabei?«
»Das liegt ganz an dir. Sei einfach klug. Finde Kompromisse, verbünde dich mit Darya, zieh sie auf deine Seite. Und wenn sie erst mal Enkelkinder hat, ist sie sowieso zu beschäftigt, um dir das Leben schwerzumachen.«
»Enkelkinder? Was für Enkelkinder?«
»Na ja, ihr wollt doch sicher Nachwuchs, oder?«
»Darüber haben wir uns noch keine Gedanken gemacht. Mit der Familienplanung sollten wir uns wirklich ein bisschen Zeit lassen.«
»Zeit lassen? Wie alt bist du noch mal?«
»Mein Gott, du klingst wie meine Mutter …«
Kompromisse und Kinder, Kinder und Kompromisse, hallte es durch meinen Kopf, als ich in die Kanzlei zurückkehrte. Als ich sah, was mein Huhn auf dem Teppich hinterlassen hatte, beschloss ich, dass es Zeit sei für ein Kompromissgespräch mit Darya, bei dem ich ihr gleichzeitig die Verantwortung für diesen Nachwuchs übertragen wollte. Wer hatte schließlich eine Datscha mit Garten?
Ich stopfte das Vieh in den Karton zurück und zuckelte nach Billstedt. In einem japanisch anmutenden Morgenmantel thronte Darya in der Herbstkälte auf ihrer Terrasse und lackierte sich die Fußnägel. Feierlich stellte ich mein Mitbringsel auf den Tisch und strahlte sie an.
»Guck mal, ich hab dir etwas mitgebracht!«
Sie öffnete ihr Geschenk und schaute erstaunt erst auf das Huhn, dann auf mich. Ich strahlte hartnäckig weiter und bemühte mich dabei um einen unschuldigen Gesichtsausdruck. »Ab jetzt haben wir immer frische Eier. Super, oder?«
Ich hatte mir angewöhnt, einfach auf Deutsch mit ihr zu sprechen, so als könnte sie mich verstehen. Das klappte gut, in den meisten Fällen erfasste sie intuitiv, was ich von ihr wollte. Auch jetzt erwiderte sie:
»Charascho, spassiba.«
Sie packte den Vogel, setzte ihn auf den Rasen, griff zu ihrem Handy und redete fünf Minuten auf jemanden ein, der keine Chance hatte, ihr zu antworten.
Wieder einmal bewies sie, dass sie eine Frau der Tat war. Keine halbe Stunde später erschien Rostislav, ächzte unter der Last diverser Bretter und Werkzeuge und begann, einen Stall zu bauen.
Zufrieden schauten wir ihm dabei zu, tranken heißen Tee und wippten zum Takt der Hammerschläge mit den Füßen. Der perfekte Moment für ein Kompromissgespräch.
»Darya, können wir noch einmal über die Hochzeit reden?«
»Da.«
»Ich finde das klasse, wie du dich um alles kümmerst. Das ist wirklich eine große Hilfe für mich.«
»Da.«
»Rostislav hat so ein tolles Restaurant ausgesucht. Wirklich, toll. Ich kenne mich nun mit russischem Essen nicht so richtig gut aus. Meinst du, du könntest die Menüplanung übernehmen? Und so Sachen wie die Tischdeko und wer wo sitzt? Ach ja, vielleicht brauchen wir auch einen DJ für die Musik. Und wer weiß was noch alles.«
»Da.«
»Ach, super! Danke. Im Gegenzug würde ich mich dann um die Einladungen kümmern, wenn’s dir recht ist. Die müssen jetzt auch langsam mal raus, das sind ja nur noch ein paar Wochen.«
»Charascho, charascho.«
Na also, dachte ich, die habe ich ausgetrickst. Ich bemühte mich, nicht allzu triumphierend zu grinsen.
Abends drückte ich Artjom die überarbeitete Gästeliste in die Hand, die ich nunmehr auf etwa fünfzig Personen geschrumpft
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