Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen
Gesichtsausdruck neben das Büfett.
»Einmal klatschen bedeutet: bitte etwas zu trinken. Zweimal heißt: bitte etwas zu essen«, erklärte Lena. »Links geht’s zum Whirlpool und den Duschen, rechts zur Sauna. Macht es euch gemütlich.«
Heike klatschte sofort viermal, also doppelte Portion.
»Und den jungen Mann gibt’s zum Dessert?« Elisabeth lächelte süffisant.
»Lena«, flüsterte ich, »das ist toll. Das schöne Essen! Und dann sogar ein, äh, Kellner … Wie viel bekommst du denn dafür von mir?«
»Gar nichts«, flüsterte sie zurück, »unser guter Nikolai hier schuldet Mischa noch einen Gefallen, einen mehrstelligen Gefallen. Er ist sehr glücklich, uns auf diese Art seine Wertschätzung zu zeigen.«
Nach und nach trudelten auch die russischen Gäste ein. Anfänglich fremdelten Ost und West ein wenig miteinander. Nachdem die ersten beiden Flaschen Krimsekt geleert waren, nahm die Völkerverständigung jedoch ihren Lauf.
Unser persönlicher Sklave mühte sich redlich, all unsere Wünsche zu erfüllen. Doch steigender Alkoholkonsum und Saunadämpfe vernebelten unsere Hirne, so dass wir bald wild durcheinanderklatschten und den armen Nikolai zwangen, im Zickzacksprint durch den Raum zu eilen.
Dennoch fand er Zeit, der drallen Dithmarscherin immer längere und wohlwollendere Blicke zuzuwerfen. Auch Heike gefiel der junge Verehrer, und mit den Worten: »So, Mädels, holt euch euren Wodka selbst!«, zerrte sie ihn irgendwann Richtung Whirlpool.
Elisabeth hatte mit schwerer Zunge Lena in ein Gespräch über die Rolle der russischen Frau in der Gesellschaft verwickelt.
»Weisssu, was ihr alle wollt? Reich heiraten!«
Lena nickte verständnisvoll und tätschelte beruhigend Elisabeths Knie.
»Ha, wusssichs doch!«, gurgelte Elisabeth, bevor sie nach hinten auf die Spielwiese kippte, direkt neben die schnarchende Irina.
Auch Julia hatte schon aufgegeben und schlummerte auf einem Sofa. Anastassia und ich hielten noch durch, gebannt lauschte ich ihrer Erklärung, dass sie eine direkte Nachfahrin der Romanow-Dynastie sei und nach ihrer Ururgroßcousine benannt worden war. Im Übrigen war sie fest davon überzeugt, dass die Monarchie in absehbarer Zeit nach Russland zurückkehren würde.
In den frühen Morgenstunden krabbelten wir die Kellertreppe hoch, Heike entschwand mit Nikolai in der Dunkelheit, wir anderen quetschten uns in Lenas Mercedes.
»Bisssu sicher, dasssu fahren kannst?«, fragte ich.
»Gansssicher«, nuschelte Lena und gab Gas. Schlitternd kam sie vor meiner Haustür zum Stehen, alle Frauen umarmten mich, Elisabeth grölte:
»Dolle Paady, am Dreizehnten machen wir weidder!«
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11
M eine Hochzeit verlief anders als erwartet. Aber alle amüsierten sich prächtig.
Es ging damit los, dass Artjom mich am Vorabend aus der Wohnung schmiss.
»So, Paula, du schläfst heute bei deinen Eltern.«
»Warum das denn?«
»Weil wir die Nacht vor der Hochzeit nicht zusammen verbringen dürfen.«
»Sagt wer?«
»Die Tradition.«
»Und deshalb muss ich woanders schlafen? Warum fährst du nicht einfach in die Datscha?«
»Weil die Braut bei ihren Eltern schläft. Das ist so. Und nun husch, pack deine Sachen, deine Mutter wartet unten.«
»Meine Mutter?«
»Na, irgendwer muss dich doch abholen.«
Tatsächlich stand Mutter in Vaters Mercedes direkt vor der Haustür. Bei ihrem Versuch, in zweiter Reihe zu parken, hatte sie die Straße blockiert und widerstand tapfer einem wüsten Hupkonzert. Ich warf meine Taschen auf die Rückbank und schlüpfte eilig in den Wagen.
»Mama, du weißt, was du tust?«
»Sicher, mein Kind, sicher.«
»Und Papa weiß, dass du das Auto genommen hast?«
Schweigen. Mutter hatte bestimmt seit dreißig Jahren nicht mehr hinter dem Steuer gesessen. Sie war eine sehr ängstliche und nervöse Fahrerin gewesen. Ich erinnere mich noch vage daran, dass ich mich als Kind immer platt auf den Boden des Fonds gedrückt und gebetet hatte, wenn sie fuhr. Nachdem sie zum wiederholten Male ein Hindernis touchierte, entzog Vater ihr den Führerschein.
»Soll ich lieber fahren?«
»Nein, nein, das geht schon.«
Mit Tempo zehn ruckten wir nach Nienstedten, begleitet von Drohgebärden anderer Verkehrsteilnehmer, und erreichten schweißüberströmt das Matthessche Anwesen. Dort wartete schon Vater auf der Eingangstreppe.
»Luise!«, brüllte er. »Wie kannst du es wagen, den Wagen zu nehmen?«
»Ich muss nicht um Erlaubnis fragen. Ich bin eine erwachsene Frau«, antwortete
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