Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen
Zimmer knapp. Wir widmeten uns zunächst den Formalitäten, dann hielt sie eine kleine Ansprache, in der sie betonte, dass dieser Bund fürs Leben geschlossen werde und nicht leichtfertig zu lösen sei, dass eine Ehe auch Verantwortung bedeute, gerade in den schlechten Tagen, die wohl jedes Paar zusammen durchleide.
Ich schnappte nach Luft, klammerte mich an Artjoms Hand und widerstand einem kurzen Fluchtimpuls. Ich hatte sowieso keine Chance, hier herauszukommen.
Gegen Ende der schlichten Zeremonie ertönten vom Flur her Hochrufe, und unter einigem Hallo quetschten sich Darya und Rostislav zu uns.
»Wo wart ihr denn?«, japste ich.
Darya zuckte die Schultern und wandte sich mit einem resoluten »Dawai, dawai« an die genervte Standesbeamtin. »Dalli, dalli«, übersetzte ich freundlich.
Es ging wirklich schnell, Artjom zückte die Ringe, in der einen Sekunde unterschrieben wir amtliche Dokumente, in der nächsten waren wir Mann und Frau. Die Menge jubelte, klatschte und trampelte, Mutter und Darya heulten, Rostislav haute Vater ununterbrochen auf den Rücken, Artjom und ich küssten uns.
In der Eingangshalle hatte irgendwer eine mobile Bar aufgebaut, Korken knallten, Konfetti flog, ein Akkordeon erklang, fremde Menschen schlossen mich in ihre Arme und schwenkten mich herum. Mit den Worten: »Wir schließen gleich!«, rannte die Standesbeamtin an mir vorüber.
Nach und nach entdeckte ich vertraute Gesichter: Heike, Elisabeth, Tante Irmi, auf der verzweifelten Suche nach ihrem Rollator, zwei entfernte Cousinen, ein Onkel, Nachbarn meiner Eltern – und Bernhard.
Was macht der denn hier?, dachte ich.
»Was machst du denn hier?«, fragte ich, als ich auf ihn zustolperte.
»Deine Mutter hat mich eingeladen.«
»Und dann kommst du tatsächlich? Findest du das nicht völlig unpassend?«
»Ehrlich gesagt, war ich neugierig, in was für eine Sippe du da einheiratest.« Sein Blick glitt abschätzig über die anderen Gäste. »Na ja, etwas Ähnliches hatte ich erwartet. Neureiche Russen!«
»Danke für die Glückwünsche, Bernhard. Wir haben sicher später noch die Gelegenheit, miteinander zu plaudern. Du entschuldigst mich?«
Ich schoss auf Mutter zu, zog sie beiseite und fragte drohend: »Bist du verrückt geworden? Wie kommst du dazu, diesen Idioten einzuladen?«
Sie wusste sofort, wer gemeint war, und wand sich verlegen. »Weißt du, ich dachte, der soll ruhig mal sehen, was er verloren hat.«
Bevor ich etwas erwidern konnte, forderte Rostislav Mutter zu einem spontanen Tänzchen auf, und sie hüpfte davon. Später, dachte ich, später, und schnappte mir als Nächstes Darya.
»Wo kommen diese ganzen Menschen her? Ich dachte, wir waren uns einig, was die Gästeliste betrifft?«
Sie lächelte fein, tätschelte meinen Arm und tat so, als würde sie mich nicht verstehen. Langsam schwante mir, dass es vielleicht ein Fehler gewesen war, ihr unkontrolliert die Ausrichtung des Festes zu überlassen. Und ich fragte mich, womit ich wohl noch zu rechnen hätte.
Für weitere Diskussionen blieb keine Zeit, ständig schüttelte mir irgendwer die Hand, ich schüttelte artig zurück und wurde von vorn nach hinten und wieder zurück gereicht.
Wie auf ein unsichtbares Zeichen hin setzten sich schließlich alle in Gang und strömten zur Tür. Der Regen war inzwischen zu einem ordentlichen Guss geworden, in der Ferne donnerte es.
Neben unserer Limousine und einem Fuhrpark an Gelände- und Sportwagen stand nun auch ein veritabler Reisebus. Die Menschen verteilten sich auf die Fahrzeuge, ich zupfte Artjom am Ärmel und fragte:
»Ist das nicht ein bisschen übertrieben für das kleine Stückchen? Wir können doch laufen.«
»Laufen?« Artjom sah mich entgeistert an. »Bis zum Fischmarkt?«
»Wieso Fischmarkt? Das Restaurant ist doch nur ein paar Meter weiter.«
»Paula, wir müssen doch noch Fotos machen und Blumen niederlegen.«
»Ach so?«
Im Auto erklärte mir Artjom, dass es ein russischer Brauch sei, im direkten Anschluss an die Eheschließung zu einem Denkmal oder einem anderen bedeutsamen Ort zu fahren und sich dort fotografieren zu lassen. Ich persönlich fand nicht, dass der Hamburger Fischmarkt ein besonders ehrwürdiges Plätzchen war, hielt aber meine Klappe. Es sollte mir keiner nachsagen, dass ich die Sitten und Gebräuche anderer Kulturen nicht achtete.
Unser Konvoi raste hupend durch die Stadt, ein paar deutsche Gäste verloren den Anschluss und stießen erst Stunden später im Restaurant wieder zu
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