Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe - Frascella, C: Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe
mir.
Sie gefiel mir nicht.
Sie gefiel mir.
Ich warf die Kippe weg, es war Zeit, heimzukehren.
Kaum war ich in der Tür, legte die Mönchsrobbe den Telefonhörer auf, knallrot im Gesicht.
»Na?«, machte ich.
Sie hatte sich umgezogen. Ein trostloses Kleidchen in einem verblichenen Grün verhedderte sich über ihren Brüsten und fiel wie eine Beleidigung ihrer Hüften an ihr herunter. Schuhe mit flachem Absatz.
»Nichts«, sagte sie eingeschüchtert. »Falsch verbunden.«
»Fünftens: Du sollst nicht lügen«, zitierte ich mit warnend erhobenem Zeigefinger.
»Das fünfte lautet: Du sollst nicht töten«, erwiderte sie.
»Nebensächlichkeiten.« Ich ließ meinen Blick schweifen.
Der Tisch war gedeckt wie zur Zeit der desertierten Mutter. Und genau wie damals kam der Duft des fast fertigen Sonntagsmahls aus der Küche.
»Die letzten Verfeinerungen«, sagte meine Mutter dann immer, geschäftig zwischen der Küche und dem Esszimmer hin- und herlaufend. Der Chef war wahrscheinlich die Zeitung holen oder einen Aperitif trinken gegangen. Genau wie jetzt wartete alles nur auf seine Rückkehr. Und in diesen Minuten, die sich wie Stunden hinzogen, war ich glücklich.
»Papa ist Virginia abholen gegangen.«
Ich nickte. »Das dachte ich mir, Robbe, und es freut mich. Und du hast die Zeit für einen Telefon-Quickie mit dem Voyeur genutzt, stimmt’s?«
»Von wem redest du eigentlich?«
»Heuchlerin!«
Misstrauisch ging sie zum Tisch, um das schon ordentlich aufgereihte Besteck neu aufzureihen.
»Ich verstehe wirklich nicht …«
»Heuchlerin!«
Nachdem sie einen blitzblanken Teller poliert hatte, blieb sie stehen. Ihre Hände fuchtelten nervös, sie räusperte sich. Ohne die Augen zu heben, sagte sie: »Ich habe von … von eurer Begegnung gehört.«
»Eurer?«
»Ja, du und er, draußen vor dem Haus.«
»Er?«, bohrte ich.
»Mauro …«, kam es mit hauchdünner Stimme.
»Ach, der!«
Sie drehte sich zum Spiegel um und zupfte an ihren Haaren, als wollte sie sich ein Minimum an Nonchalance erkämpfen. Das Ergebnis war eine mittlere Katastrophe. »Wir kennen uns …«, erklärte sie in abgebrochenen Sätzen. »Wir sind Freunde … seit einiger Zeit. Nichts Böses, nur dass du’s weißt.« Ich sah im Spiegel, wie sie rot anlief.
Chiara fiel mir ein. »Das interessiert mich alles nicht«, servierte ich sie ab. »Ihr seid bloß bemitleidenswert.«
Sie drehte sich um und sah mich an. Die Robbenaugen waren feucht. »Wir haben uns gern!«, sagte sie. Ihre Stimme zitterte, aber es lag ein Unterton Entschlossenheit darin, der mir neu war. Vielleicht hatte sie die schon seit Wochen ausgebrütet. »Wir haben uns gern. Und auch Papa und diese Virginia haben sich gern.« Dann blickte sie mich hart an. »Du dagegen hast niemanden. Darum weißt du nicht mal, wovon ich rede.«
Das tat weh wie ein Tritt von Schwarzy.
Aber ich applaudierte dreimal spöttisch. »Kompliment«, sagte ich, »ein wirklich bewegender Monolog … Wir haben uns gern «, äffte ich sie nach.
Mühsam hielt sie ein Schimpfwort zurück. Dann hetzte sie in Richtung Küche und verschwand aus meinem Blickfeld.
Ich hörte sie mit den Töpfen kämpfen.
Wer weiß, was meine Mutter, diese Abtrünnige, zwischen den Küchendämpfen der lang vergangenen Sonntagmittagessen dachte, während wir darauf warteten, dass sie mit dem ersten Gang herauskam, wenn wir Kinder ihr den Teller hinstreckten und sie uns anlächelte und den Chef anlächelte wie nach Drehbuch, und unsere Teller sich mit ihrer Liebe füllten, oder dem, was wir für ihre Liebe hielten. Sie dachte daran, abzuhauen, genau daran dachte sie, möglichst schon am nächsten Tag, und zwar mit dem ersten, der sich die Mühe geben wollte, sie von diesem ganzen kranken, langweiligen, sinnlosen Ritual wegzubringen.
Und Monate später, Jahre später, waren meine Mitbewohner in demselben Haus, wo meine Mutter ihre Flucht geplant hatte, schon wieder bereit, sich zu verlieben , jemanden zu empfangen, sich reinlegen zu lassen, indem sie dasselbe Ritual erneuerten.
Arme libidinöse Arschlöcher.
Ich hörte Schritte auf dem Gartenweg, die Stimme des Chefs und die lebhaftere einer Frau. Auch die Robbe hörte sie, kam bleich an und stellte sich neben mich, das Gesicht verwüstet von blankem Entsetzen wie Janet Leigh, wenn sich in Psycho der Duschvorhang öffnet. Ich verschränkte seufzend die Arme.
Der Schlüssel drehte sich im Schloss, und die Tür ging auf.
»Da sind wir!«, verkündete der Chef.
Sie trat
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