Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe - Frascella, C: Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe
die sie einbringt, Chef?«
»Viel Geduld, du Idiot, Geduld ist ihre Mitgift.«
Ich bedachte beide mit kämpferischen Blicken. »Kommt sie wenigstens auf zwei Millionen Lire? Oder muss ich diese Tussi auch noch ernähren?«
Virginia brach in ein böses Gelächter aus. Der Chef schüttelte nur sein Haupt und aß weiter. Die Robbe ahmte nach, was ihre faltige Kultfigur tat.
Die Legende fragte: »Im Januar wirst du volljährig, nicht wahr?« Ihr Ton war der eines Gerichtsdieners, der dich aus dem Saal schmeißt.
Schmatzend saugte ich eine einzelne Nudel ein. »Stimmt genau, Vì.«
Sie nickte zufrieden.
»Wieso, braucht ihr mein Zimmer für die zukünftigen Kindlein?«
»Man weiß nie.«
Die Robbe lief dunkelviolett an. Der Chef beteiligte sich nicht, er schien in nicht übermäßig begeisternde Gedanken versunken.
»Bist du denn überhaupt noch in der Lage, Junge zu werfen?«, fragte ich. »Hat sich deine biologische Uhr nicht längst verklemmt? Du müsstest doch auf die soundso-zig zugehen, oder?«
Sie rollte einen formvollendeten Bissen Spaghetti auf ihre Gabel, nicht zu groß und nicht zu klein, schluckte ihn hinunter, ohne ein Molekül Soße zu verspritzen, und musterte mich währenddessen mit chirurgisch präzisem Hass. Dann antwortete sie ruhig: »Erstens funktioniere ich perfekt. Zweitens solltest du dich bei Gelegenheit darüber informieren, dass es heutzutage für nichts mehr zu spät ist. Die Genetik macht Riesenfortschritte, wusstest du das nicht?«
Tja. Ich sah sie vor mir, diese Scheißgenetik, wie sie geradewegs in mein Zimmer gestiefelt kam, um mir mein Bett wegzunehmen und meine Sachen aus dem Fenster zu werfen. Vielleicht wurde es Zeit, sich einen Platz unter der Brücke zu suchen. Aber ich bin in diesem Haus aufgewachsen, sagte ich mir zum x-ten Mal. Die anderen waren mir scheißegal, es tat mir nur um mein Zimmer leid. Allerdings läuft es bei bestimmten Dingen immer so, denke ich. Das Gesamtbild geht dir am Arsch vorbei. Es sind die Einzelheiten, die kleinen Sachen, an denen du hängst, ohne dass es dir richtig bewusst ist, und um die du trauerst, wenn du sie verlierst.
Nachts hörte ich Virginia zwei Zimmer weiter lachen. Der Bodensatz an Irrsinn, den ich aus ihrem Lachen heraushörte, spannte sich in meinem Kopf von Trommelfell zu Trommelfell wie ein Gummiband. Es war ein weiches, heimtückisches Geräusch, das sich in meine Träume einschlich und mich andauernd unruhig aus dem Schlaf auffahren ließ.
Die Dottoressa Marongiu nahm mir den Verband ab. Als sie meine Nase anfasste, machte ich vor Schmerzen einen Satz auf dem Stuhl.
»Ruhig«, mahnte sie. Dann zog sie die Stopfen heraus, und jetzt hüpfte ich einen guten halben Meter hoch. »Ruhig!«, wiederholte sie. Etwa eine Minute lang musterte sie mich. Dann fasste sie mir unters Kinn und drehte meinen Kopf nach rechts und links. »In Ordnung, wir bessern uns.« Sie deutete ein Lächeln an.
Der neue Verband, der mir angelegt wurde, war kleiner, und meine Gesichtszüge traten endlich wieder so hervor, wie es sich gehörte. Im Spiegel kreuzte ich den Blick einer kleinen Krankenschwester – nie zuvor gesehen –, die mich verarzten wollte, und hinter der Maske der Professionalität las ich eine große Portion Begierde in ihrem Blick.
Ich lächelte sie an. »Wie geht’s denn so?«
»Man arbeitet«, gab sie zur Antwort. Sie kaute Kaugummi. Plötzlich sah ich einen rosa Ball zwischen ihren Lippen hervorkommen, der sich ausdehnte, bis er mit einem scharfen Knall zerplatzte.
»Mach das noch mal«, flüsterte ich ihr zu.
Sie lächelte kopfschüttelnd und bohrte mir einen Stopfen in jedes Nasenloch.
»He, verflucht!«, schrie ich.
»Tut’s weh?« Sie grinste. »Entschuldige. Du kannst jetzt gehen.«
Ohne die Augen von dem halbtoten Infarktpatienten zu heben, der sie seit einer Weile beschäftigte, teilte die Marongiu mir mit, dass ich in einer Woche wiederkommen solle. Ich zwinkerte der kleinen Krankenschwester zu. Die verabschiedete sich von mir, indem sie den nächsten Ball aufblies.
Eine Stunde später betrat ich den Minimarkt.
Ich sah Chiara am gewohnten Platz, doch sie sah mich nicht. Rasch schlüpfte ich in eine Abteilung mitten im Laden, zwischen Pastapaketen und Dosen verschiedenerlei Art. Manchmal zog ich ein Glas eingelegtes Gemüse aus dem Regal und beobachtete sie durch die Lücke. Sie bediente die Kunden mit mechanischen Bewegungen, einen Anflug von Müdigkeit im Gesicht.
Ich betrachtete ihre vollen, weichen Lippen,
Weitere Kostenlose Bücher