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Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe - Frascella, C: Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe

Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe - Frascella, C: Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe

Titel: Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe - Frascella, C: Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Frascella
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an.
    Natürlich bekam ich es im Finale mit dem Alten zu tun. Dies war das wichtigste Dartturnier der Geschichte, denn das Gerücht, dass Tony Champion zum ersten Mal in seiner ruhmreichen Karriere geschlagen worden war, musste sich in Windeseile verbreitet haben. Der ganze Ort schien anzurücken, um den Wettkampf mitzuerleben.
    Alle waren auf der Seite meines Gegners. Versteht sich: Ein armer, schwerhöriger alter Rentner, der dem jungen Meuchelmörder des Champions gegenüberstand, musste ja zwangsläufig die Sympathie der Mittelmäßigen wecken, und die bilden die Mehrheit der Weltbevölkerung.
    Der Zahnlose spornte den Schwerhörigen mit wenigen, nervösen Worten an, etwa wie der schwarze Coach von Apollo Creed. Natürlich war das alles vergeblich, denn der hörte ja keinen Ton, aber er nahm tiefe Atemzüge und nickte fortwährend mit dem kahlen Kopf, so dass ihm sein Hörgerät um die Ohrmuschel hüpfte.
    Ich in meiner Ecke hatte weder Anheizer noch Sparringpartner, ich hatte keine Fans und nicht mal Freunde, aber das war mir scheißegal. In mir entstand eine Kraft, die jeden bei bloßer Berührung wie ein Stromstoß hingestreckt hätte.
    Chiara war unter den Zuschauern. Tony Champion an ihrer Seite.
    Der Barmann brachte die Menge zum Schweigen. Er zog einen kleinen vergoldeten Pokal unter der Theke hervor. Allgemeine Ausrufe der Bewunderung. »Fangen wir an!«, sagte er.
    Der taube Alte und ich machten uns zum Wurf bereit. Das Stimmengewirr um uns herum wurde schwächer, bis es ganz erstarb. Ich schielte zu meinem Gegner hinüber. Er war stark angespannt, seine Halsmuskeln zuckten nervös, blaue Adern traten hervor. Aber ich durfte kein Mitleid mit ihm haben.
    Man händigte uns die Pfeile aus. Ein Zeichen des Barmanns und los.
    Achtzig gegen siebzig für mich!
    »Jaaaa!«, brüllte ich.
    »Mist«, brummte der Taube. Traurig schob er die Unterlippe vor.
    »Das sind die Spielregeln, Großvater«, sagte ich.
    »Hm, ja …«, antwortete er, aber er hatte sicher nicht die Bohne kapiert.
    Man sprach ihm Mut zu. Um mich kümmerte sich niemand. Umso besser.
    Zweiter Wurf. Ich bemerkte, dass der Alte, da er das Signal nicht hören konnte, erst zum Glas blickte und dann auf seine Zielscheibe. Diese Bewegung war seiner Konzentration garantiert abträglich. Wir warfen.
    Wieder achtzig zu siebzig für mich! Ich hatte zwanzig Punkte Vorsprung!
    »Ooooh«, machte das Publikum. »Mist«, wiederholte der Alte.
    »Wir sind fast so weit.« Ich nickte dem Publikum zu. Missbilligendes Gemurmel. Chiara, mit glänzendem Bierblick, sah nur einen Augenblick lang zu mir hin. Dann flüsterte Tony ihr etwas ins Ohr. Sie hörte zu, hob die Schultern und senkte sie langsam wieder.
    Dritter Wurf.
    Ich machte neunzig, mein Gegner siebzig.
    Es war fast geschafft, ich hob den Arm. Ich hatte nicht einmal gefragt, ob es auch einen Geldpreis gab.
    »Mist.« Der Alte betrachtete den Pokal. Er musste ihm unendlich weit entfernt erscheinen. Als er den Kopf schüttelte, rutschte ihm das Hörgerät aufs Ohrläppchen.
    »Vorwärts!«, rief ihm der Zahnlose zu. »Gib’s ihm!«
    Wieder betrachtete der Alte den Pokal. Dann das Ziel. Er seufzte vernehmlich. »Na gut!«, brummte er und riss sich zusammen. Und gerade während er wieder Selbstvertrauen schöpfte, empfand ich plötzlich Mitleid mit ihm. Er hätte mein Großvater sein können. Ich wusste nicht einmal, wie meine Großeltern ausgesehen hatten. Wie war der Vater meines Vaters gewesen? In meinem ganzen Leben hatte ich noch kein Foto von ihm gesehen.
    Klingeln.
    Ich war ein bisschen schlaff. Warf ohne rechte Überzeugung.
    Aber wir machten beide siebzig.
    »Ich hab’s ja gesagt, dass es geschafft ist«, warf ich hin, um meiner Rolle treu zu bleiben.
    Zu Hause warteten sie nur darauf, dass ich verschwand. Die Fabrikarbeit war anstrengender als erwartet. Chiara würde sich wahrscheinlich mit Tony zusammentun. Und ich stand da und spielte Dart mit einem tauben Alten. Alles zusammengenommen nicht übel, dachte ich.
    »Nicht übel«, sagte ich.
    Der Alte stand schon bereit mit seinen Pfeilen in der Hand. Ich musterte ihn: Er war vollkommen konzentriert, dieser Moment schien ihm alles zu bedeuten.
    Um mich herum nur neugierige und gelangweilte Typen. Überall Tristesse.
    Aber ich konnte jemanden glücklich machen, einmal wenigstens.
    Ich drehte mich zu Chiara um. Sie erwiderte meinen Blick ohne große Anteilnahme.
    Klingeln.
    Ich tat so, als würde ich beim Werfen stolpern. Die Flugbahn meines Pfeils war

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