Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe - Frascella, C: Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe
mit ihm?«
»Es geht ihm schlecht«, antwortete sie, ohne mich anzusehen. »Es geht ihm schlecht!«
»Was hat er?« Ich nahm seine freie Hand. »Was hast du, Chef?«
Sie schoben die Trage hinten in den Krankenwagen, wo der mit dem Funkgerät einstieg, gefolgt von der Robbe. Auch ich wollte einsteigen, aber einer der beiden Träger packte mich so hart an der Schulter, dass ich um ein Haar hingefallen wäre. Fast hätte ich mit meinem berühmten rechten Haken reagiert, aber ich unterdrückte den Impuls. »Was willst du?«
»Nicht mehr als ein Verwandter«, sagte er.
Der andere schloss die Hecktüren. Dann setzte er sich auf den Fahrersitz. Sein Kollege ließ von mir ab und stieg auf der anderen Seite ein.
Bevor er die Tür schließen konnte, stellte ich mich davor. »Dann komme ich mit euch.« Wortlos rutschte er auf den mittleren Sitz. Ich stieg ein, kurbelte das Fenster herunter und rief den Maurern zu: »Passt auf das Haus auf!« Und zum Fahrer: »Los!«
Der legte den ersten Gang ein, und wir fuhren los, über uns das Heulen der Sirene.
Während der etwa zehn Minuten Fahrt drehte ich mich fortwährend nach hinten, um durch das Innenfenster zu beobachten, was dort vor sich ging. Vom Chef kam kein Laut, der Pfleger hantierte mit Infusionsnadeln und Tropf an ihm herum. Die Mönchsrobbe sah aus wie eine Schauspielerin am Sterbebett des Helden in einem schlechten Fünfziger-Jahre-Film. Aber hier gab es keine Helden, nur einen Mittvierziger, der sich im Laufe seines Lebens mehr Bier als Wasser hinter die Binde gekippt hatte und jetzt die Rechnung dafür bekam. Ich konnte diesen Mann nicht gernhaben, ohne zu berücksichtigen, dass er sich selbst nicht besonders gerngehabt hatte, bevor das Virginia-Ereignis ein paar lichte Augenblicke in sein Dasein, das verrottende, abdriftende Boot, gebracht hatte. Vielleicht dachte auch die Mönchsrobbe so.
Mehrmals klopfte ich an die Scheibe. Sie sah mich an, ihre Züge waren von ohnmächtiger Liebe verdüstert. »Beruhig dich, Robbe, verdammt!«, schrie ich. Aber sie schien mich nicht zu hören. Sie weinte. Das Gesicht vom Chef war verdeckt, doch es genügte, die Krämpfe in seinen Armen und Beinen zu sehen, um zu begreifen, dass es schlecht um ihn stand.
Also nahm ich meinen Mut zusammen und fragte die beiden im Fahrerhäuschen: »Kann er sterben?«, und der Ton meiner Stimme verriet mir noch eher als ihnen, wie ich mich fühlte.
Der Typ neben mir hob den Kopf von einem Papier, das er bekritzelte, und sah erst mich, dann seinen Kollegen an. Der schlängelte sich durch den Verkehr und sagte nichts, aber die Sirene, die ihren entsetzlichen Schrei in den Himmel sandte, schien an seiner Stelle zu antworten.
Wenige Augenblicke später erblickte ich das Schild der Notaufnahme. Inzwischen war es mir nur allzu vertraut.
Seit über einer Stunde saßen wir im Wartesaal. Um uns herum etwa zwanzig Menschen, alle mit Gesichtszügen, die vom Warten grässlich entstellt waren. Ich hatte große Lust zu rauchen. Dann sah ich am Ende des Flurs Virginia auftauchen, bei jedem Schritt schlug das Handtäschchen gegen ihre Hüfte, wie um ihr einen Rhythmus vorzugeben. Die Robbe sprang vom Stuhl auf und lief ihr entgegen, und mir kam der Gedanke, wer weiß warum, dass ich sie seit Jahren nicht mehr hatte laufen sehen. Das letzte Mal müssen wir noch Kinder gewesen sein, irgendwann in einer Zeit, die sehr weit hinter uns lag.
An die Seite der Topmanagerin gepresst, die einen Arm um ihre Schultern gelegt hatte, kehrte die Robbe zurück. Erst als Virginia näher kam, bemerkte ich, wie blass sie war. Sie hob die Hand zu einer Art Gruß. Ich musste ihn erwidern, eine anstrengende Geste. Dann nahm sie die Papiere, die man uns am Empfang ausgehändigt hatte, und klopfte an eine Tür. Ein Pfleger öffnete und musterte sie. »Sind Sie die Ehefrau?« Bevor Virginia Zeit hatte, etwas zu antworten, trat er schon zur Seite, um sie hindurch zu lassen.
Die Robbe sagte nichts, blickte sich nicht mal im Raum um. Sie hielt die Hände im Schoß, ihre Augen glänzten, der Mund war zusammengekniffen, und ich stellte mir vor, dass sie betete. Sie war schmuddelig, und sie war klein. Erschrocken. Fast bekam ich Lust, sie zu umarmen, aber natürlich tat ich es nicht. Das passte nicht zu mir. Außerdem war sie wirklich schmuddelig.
Ich ging nach draußen, um im Hof eine Zigarette zu rauchen, und als ich zurückkehrte, stand die Robbe am Münztelefon. Sie umklammerte das Kabel, während sie in den Hörer sprach.
»Mit
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