Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe - Frascella, C: Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe
sechshundert Stück in der Stunde«, sagte Giulio, »und dann bereite dich auf die Unterschrift unter den Vertrag vor!«
Ein Begeisterungsschauer erfasste mich: Geschafft, es war geschafft!
Er hieb mir auf die Schulter, nickte, als hätte ich etwas gesagt, schlug sich mit der Faust in die Handfläche und verließ uns, fröhlich mit dem Hintern wackelnd.
Als er weg war, sagte George: »Sechshundert in der Stunde? Du Ärmster!« Er verdrehte wie angewidert die Augen. »Du hältst dich für schlau, aber du bist nur in einer Falle gelandet, aus der du nicht mehr rauskommst.«
Der Neid ist eine gefährliche Bestie, sie beißt dich in den Arsch, sooft sie kann. Das war mir jetzt schon seit geraumer Zeit klar.
Als die Sirene zur Mittagspause heulte, defilierten die Arbeiter an der blauen Linie in einer Prozession an mir vorbei. Vincenzo und der Blonde warfen mir hasserfüllte Blicke zu, blieben aber stumm. Der Mann an der Auffangstelle kam auf mich zu und sagte leise: »Jetzt beruhig dich mal wieder, Junge, wir kommen zum Arbeiten hierher, nicht um uns umbringen zu lassen!«
Ich hatte drei kleine Zauberworte vorbereitet, die in solchen Situationen gesagt werden mussten: »SPRICH-MIT-GIULIO«.
Es funktionierte, denn weder der dicke Auffänger noch die anderen sagten etwas. Bis zur Kantine sahen wir uns scheel an, dann trennten wir uns. Vincenzo und die Molisaner gierten sicher nicht danach, mich wieder an ihrem Tisch zu haben. Mich zu den Bossen zu setzen, wäre zwar angemessener gewesen, aber doch etwas verfrüht, wie ich zugeben musste. Während ich mein Tablett füllte, entdeckte ich einen halbleeren Tisch weit weg von allen anderen, an den ich mich setzte.
Kurz darauf gesellte sich ein frohlockender Giulio zur Tafel der Bosse und nahm, allen Kollegen in Reichweite auf die Schulter hauend, seinen Platz ein. Dann sah er mich.
»Kamerad!«, rief er, und ringsum wurde es schlagartig still. »Wieso zum Teufel sitzt du da hinten allein?« Alles, was Augen hatte im Saal, starrte mich an und begann, Meinungen auszutauschen, was bei mir in Form eines unheimlichen Getuschels ankam. Und Giulio, auf einen leeren Platz neben sich zeigend, rief: »Komm und setz dich hierhin!«
Es war wie ein Wahlsieg ohne Mandat. Mit all den Blicken, die auf mir lagen, erschien es mir noch immer ein wenig voreilig.
»Bei mir sitzt er ganz gut«, sagte Mario, der in diesem Augenblick sein Tablett neben meinem abstellte. »Stimmt’s?«, fragte er mich.
Ein erlöstes Lächeln trat auf mein Gesicht. »Stimmt!«, sagte ich und rief zu Giulio hinüber: »Beim nächsten Mal!«
Während Mario Platz nahm, fing Giulio ein wenig enttäuscht an zu essen und so auch alle anderen.
»Danke, Mario!«, flüsterte ich.
Er zuckte mit den Achseln und sah auf meinen Teller. »Jetzt lass uns essen.«
Aber ich hatte keinen großen Hunger und war ein bisschen nervös.
»Was ist los?«, fragte er, als er es bemerkte. »Probleme?«
Er war fast ein Fremder für mich und hatte schon genug eigene Scherereien, aber seine gutmütige, ehrliche Miene war ein rares Gut hier drinnen. Also erzählte ich ihm von meinem Vater.
Er unterbrach sein mühevolles Essen mit nur einer Hand und wischte sich den Mund mit der Serviette ab. »Verfluchter Mist!«, rief er aus. »Was tust du überhaupt noch hier, mach, dass du zu deinem Vater kommst!«
Ich erzählte ihm von der Abmachung mit Giulio. Er hörte schweigend zu, und es gefiel mir, dass er nicht sofort mit wohlfeilen Schlussfolgerungen kam. Als ich fertig war, lehnte er sich zurück und sah mich prüfend an.
»Die haben dich wirklich ganz schön in die Scheiße geritten«, sagte er schließlich. »Aber früher oder später findet man immer Arbeit. Verlierst du diese, gibt’s irgendwo eine andere …«
Hinter uns lachte Giulio dröhnend und schlug mit der Hand auf den Tisch. Die anderen Arschkriecher lachten mit, wahrscheinlich wussten sie nicht mal, worüber.
Mario beobachtete sie mit leicht angewiderter Miene, dann fragte er: »Gehen wir eine rauchen?«
Zwischen eins und zwei fuhrwerkte ich wie ein Besessener an der Presse, um jeden anderen Gedanken aus dem Kopf zu verbannen. Mit Hilfe von George, der mir den Rhythmus vorgab, schaffte ich fünfhundert Stück.
Mein Siegesrausch wurde gedämpft, als wir die Stückzahl eintragen gingen und ich sah, dass alle Bänder der Linie voll waren. Vincenzo warf mir einen kurzen Blick zu, während er zwischen den Blechen keuchte. Ich wollte hingehen, um ihm zu helfen, aber der
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