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Meine Schwester lebt auf dem Kaminsims: Roman (German Edition)

Meine Schwester lebt auf dem Kaminsims: Roman (German Edition)

Titel: Meine Schwester lebt auf dem Kaminsims: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annabel Pitcher
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ich sah Sunya an, dass sie sich auch daran erinnerte.
    Seit ich weiß, dass sie eine Superheldin ist, habe ich noch nicht wieder mit ihr gesprochen. Ich will unbedingt alles über Girl M erfahren, aber wenn ich den Mund aufmache, um zu fragen, muss ich an Dad denken, und meine Lippen klappen zu und halten meine Worte gefangen. Wenn Dad wüsste, dass ich mit einer Muslimin reden will, würde er mich aus dem Haus schmeißen, und ich könnte nirgendwo hin, weil Mum bei Nigel wohnt. Es ist jetzt zwei Wochen her, seit ich das Geschenk von ihr bekommen habe, und sie hat uns noch nicht besucht. Das Spider-Man-Shirt ist echt schmutzig, aber ich kann es nicht ausziehen, weil ich Mum dann aufgeben würde. Außerdem kann sie nichts dafür, dass sie nicht aus London wegkommt. Mr. Walker ist daran schuld, ihr Chef an der Kunstakademie. Der ist fieser als der fieseste Schurke, der mir einfällt, und das ist zur Zeit der grüne Kobold aus Spider-Man. Einmal ließ Mr. Walker Mum nicht zur Hochzeit einer Freundin gehen, obwohl sie supernett gefragt hatte. Ein andermal kriegte sie nicht mal frei, um an Mrs. Bests Beerdigung teilzunehmen. Mum meinte, das sei nicht so schlimm, weil Mrs. Best eine verrückte alte Tratschtante war. Aber Mum hatte sich für die Beerdigung ein schwarzes Kleid gekauft, und das konnte sie dann nicht mehr zurückgeben, weil Roger den Kassenzettel aufgefressen hatte.
    In einer der Sendungen im Fernsehen erzählten Leute, dass sie am neunten September ihre Nichte verloren hätten, und konnten dann vor lauter Weinen nicht mehr weiterreden. Mum und Dad hatten ständig Anrufe von Reportern gekriegt, aber sie wollten kein Interview geben. Ich hätte nichts dagegen, wenn ich gefilmt würde und mir jemand Fragen stellt, aber ich weiß nur noch, dass es einen großen Knall gab und alle geweint haben.
    Ich glaube, Dad gab Mum die Schuld, und deshalb konnten sie sich nicht mehr leiden. Sie redeten nicht mal miteinander. Ich dachte mir nichts dabei, bis ich in den vier Tagen, in denen Luke Branston mein Freund war, mal bei ihm zuhause war und sah, dass seine Eltern sich an den Händen hielten, plauderten und lachten. Mum und Dad sagten nur Sachen wie Gib mir das Salz oder Hast du Roger gefüttert oder Zieh verdammt noch mal die Schuhe aus, ich habe gerade gestaubsaugt.
    Jas wusste aber noch, wie es vorher war, und das Schweigen beunruhigte sie. Mir machte es nichts aus, weil ich ja nichts anderes kannte. An Weihnachten hatten Jas und ich mal einen Riesenstreit beim Scrabble-Spielen. Ich haute ihr das Spielbrett auf den Kopf, und sie stopfte mir Buchstaben in den Pulli. Mum und Dad schimpften nicht mal. Sie saßen nur im Wohnzimmer und starrten irgendwohin, als Jas ihnen die Schwellung über ihrer Nase zeigte. Wir sind für die unsichtbar, sagte Jas später, als sie versuchte, das Q aus meinem Kragen zu fischen. Wenn das nur wahr wäre. Wenn ich mir eine Superkraft aussuchen dürfte, stünde Unsichtbarkeit ganz oben auf der Liste, noch vor Fliegen. Sie benehmen sich, als seien wir auch tot , fuhr Jas fort, als sie mir ein T aus dem Ärmel holte.
    Wir waren am Trafalgar Square, als es passierte. Mum wollte dorthin. Dad hatte ein Picknick im Park vorgeschlagen, aber Mum wollte eine Ausstellung in der Stadt sehen. Dad ist gerne auf dem Land, weil er in den schottischen Highlands groß geworden ist. Er ist erst nach London gezogen, als er Mum kennenlernte. Ich kann nur in der Hauptstadt leben , hat sie mal gesagt.
    Jas erzählte mir, dass es kühl war an dem Tag, aber die Sonne schien, und man konnte seinen Atem in der Luft sehen wie Zigarettenrauch. Ich warf Brotstückchen auf den Boden und lachte, als die Tauben sie holten. Jas und Rose versuchten, die Tauben aufzuscheuchen, und Mum lachte, aber Dad sagte Sag ihnen, sie sollen aufhören . Mum sagte Sie machen doch nichts Schlimmes , doch Jas lief trotzdem lieber zu Dad, weil sie nicht geschimpft werden wollte. Rose war nicht so brav. Sie war sogar ziemlich ungezogen, und in der Schule war sie total frech, meint Jas, aber daran scheint sich niemand mehr zu erinnern. Seit sie tot ist, halten alle sie für perfekt. Dad hielt Jas an der Hand, und er rief Rose, komm hierher, aber Mum sagte Ach, lass sie doch und kicherte, als Rose sich wie wild im Kreis drehte und den Kopf in den Nacken legte. Die Tauben flatterten hoch, und Mum rief S chneller, schneller , und dann gab es einen Knall, und Rose wurde zerfetzt.
    Jas erzählte, alles sei schwarz geworden von dem ganzen Rauch, und

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