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Meine Schwester lebt auf dem Kaminsims: Roman (German Edition)

Meine Schwester lebt auf dem Kaminsims: Roman (German Edition)

Titel: Meine Schwester lebt auf dem Kaminsims: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annabel Pitcher
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Tages verstehst du das bestimmt . Ich sagte nichts, dachte aber, dass ich sie jetzt schon gut verstehen konnte.
    Ich habe mich bestimmt dreihundertmal bei Sunya entschuldigt. Immer wenn Mrs. Farmer nichts sagte, murmelte ich Entschuldigung Entschuldigung Entschuldigung . Ich holte nicht mal Luft. Aber irgendwie nützte es nichts. Sunya sah traurig aus und blieb stumm. In der Mittagspause saßen wir zusammen auf unserer Bank, aber da schrie Daniel Gibt’s bei dir Curry an Weihnachten, Curryfresser , und warf Sunya einen Schneeball an den Kopf. Ich wollte was sagen, machte es aber nicht, und Sunya lief weg und blieb den Rest der Pause im Mädchenklo. Ich glaube, Daniel weiß, dass Sunya die Pimmel auf seine Tiere geklebt hat, denn er ist jetzt so gemein zu ihr wie noch nie.
    Ich konnte den ganzen Tag nur daran denken, dass Mum kommen würde. Ich konnte mich nicht auf Landkarten oder das Viktorianische Zeitalter oder Schönschrift konzentrieren. Ich starrte nur auf meine Bücher und schrieb nichts. Den Füller behielt ich in der Hand, damit Mrs. Farmer mich nicht anschreien und Mum erzählen würde, ich sei faul. Nach der Schule war ich so müde, als hätte ich jahrelang nicht geschlafen.
    Ich war als Erster dran. Mrs. Farmer sagte Geh schon mal zu deinen Eltern, ich komme dann in fünf Minuten zu euch . Ich lief raus, sah Dads Auto und war erleichtert, als Dad das Fenster runterkurbelte und Hi sagte, ohne betrunken zu klingen. Was ist los , fragte er, weil ich überall rumguckte. Mein Herz hämmerte, mein Mund war trocken, und meine Knie zitterten. Auf dem Parkplatz standen viele Autos, aber Mum sah ich nirgendwo.
    Dad meinte, er müsste mal aufs Klo, und ging ins Schulgebäude. Ich rannte die Zufahrt entlang, weil ich schauen wollte, ob das Schulschild auch in Ordnung war. Aber es stand tatsächlich Ambleside Church of England Primary drauf, Mum konnte also nicht daran vorbeigefahren sein. Mein Spider-Man-Shirt wurde schon nass vom Schnee und klebte mir an der Haut fest, was blöd aussah. Die Ärmel waren noch weiter als sonst, und ich kriegte Gänsehaut.
    Ich wartete und wartete und wartete. Es schneite wie verrückt, und Schneeflocken blieben mir in den Wimpern hängen. Der Wind war eisig, und ich schlang die Arme um mich. Und dann hörte ich ein Auto.
    Eine Frau saß am Steuer. Eine Frau mit langen Haaren, wie Mum. Ich rannte auf das Auto zu und winkte. Dabei rutschte ich aus und fiel hin und landete mit dem Knie auf dem orangen Schotter, den der Hausmeister ausgestreut hatte. Der Wagen bog auf die Zufahrt ein.
    Mum , schrie ich. Sie war gekommen. Ich war so froh, dass ich mich nicht bewegen konnte, obwohl ich noch auf allen vieren auf der Straße lag. Mum . Der Wagen fuhr langsam, und die Frau beugte sich vor. Die Scheibenwischer bewegten sich ganz schnell, um die Schneeflocken wegzuputzen. Ich winkte und schaute ins Auto. Die Frau trug eine Brille und blinzelte, als könne sie nicht richtig sehen.
    Mum trägt keine Brille.
    Mum hat auch keine braunen Haare. Die Frau war die Mutter eines anderen Kindes, und sie deutete auf mich. Sie wollte, dass ich aufstand, aber ich konnte mich nicht bewegen. Weil ich irgendwas fühlte, das mir jetzt richtig Angst machte. Die Frau hupte dreimal. Ich kroch an den Straßenrand.
    Dad fand mich an einer Mauer. Was zum Teufel machst du hier , schrie er, packte mich an der Schulter und zerrte mich hoch. Ich weiß nicht, wie wir dahin kamen, weil ich im Kopf fünfhundert Kilometer weit weg in London war, aber plötzlich saß ich Mrs. Farmer gegenüber, und sie sagte, dass ich für meinen Aufsatz über Jesus’ Geburt eine Eins bekommen hätte.
    Mum hatte wieder gelogen. Sie hatte gesagt, für gute Noten würde ich alles kriegen, was ich mir wünschte. Aber ich hatte mir gewünscht, dass sie zum Elternabend kommen würde, und sie war nicht da.
    Dad sah beeindruckt aus und sagte Kann ich den Aufsatz mal sehen . Er tat so, als lese er, und dann sagte er Gut gemacht . Aber ich fühlte nichts. Ich war wie betäubt. Und nicht, weil ich so lange in der Kälte gewesen war. Mrs. Farmer hatte ein kleines Heizgerät unter dem Tisch stehen, das mir die Füße wärmte. Mrs. Farmer sagte was, und Dad sagte was, und dann sagte Mrs. Farmer wieder was und schaute mich an, als erwarte sie eine Antwort. Ich sagte Ja , obwohl ich die Frage nicht gehört hatte. Mrs. Farmer lächelte, also hatte ich wohl das Richtige gesagt, und dann fragte sie Auf welche Oberschule kommt er nächstes Jahr , und Dad

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