Meine Schwiegermutter trinkt - Roman
Geologie mit nach Hause zu nehmen, würde ich sie direkt anrufen, um ihr zu sagen, wie recht sie doch hat.
An der nächsten Bushaltestelle nehme ich den erstbesten Bus, der angefahren kommt. Wenn ich wollte, könnte ich nachschauen, welche Fahrtrouten auf dem Schild angegeben sind, aber ich probiere es lieber auf gut Glück. Mal sehen, ob er mich hinbringt, wo ich hinwill. Und falls ich mich komplett verfahre, werde ich mich einfach unterwegs schlaumachen …
Ich weiß, ich weiß, das ist ganz schön bekloppt. Aber so mache ich das immer, wenn ich den öffentlichen Nahverkehr benutze. Es genügt mir schon, wenn ein Bus nicht direkt in die entgegengesetzte Richtung fährt, damit ich einsteige und dann eben zusehe, wie ich an mein Ziel komme. (Ich bin mir übrigens ganz sicher, dass es einen tieferen Grund irgendwo in meinem Unterbewusstsein dafür gibt, dass ich immer wieder das mögliche Verirren suche, aber welcher das nun sein könnte – keine Ahnung.)
Ich setze mich also und überlasse mich unlustigen und schwammigen Gedanken (größtenteils Gewissensbisse und, damit verknüpft, Rechtfertigungen), und sobald wir die Stadt ein gutes Stück hinter uns gelassen haben, wo die Landschaft mit einem Schlag deprimierend wirkt, wo man nur noch aufgegebene Restaurants, Zapfsäulen, Autowerkstätten und halb fertige Häuser sieht, da gehe ich zum Busfahrer vor und frage ihn, ob wir zum Krankenhaus fahren.
Der dreht sich zu mir um, als ob ich ihn verarschen will, aber dann schaut er mir in die Augen und fragt mich bekümmert, warum ich ihn nicht früher gefragt hätte.
Als er mir ungefähr erklärt hat, wo wir sind (ich nicke, als könnte ich ihm folgen), fährt er rechts ran, um mich aussteigen zu lassen (obwohl da eigentlich gar keine Haltestelle ist, wie er ausdrücklich betont), und rät mir, einen anderen Bus zu nehmen, allerdings auf der gegenüberliegenden Straßenseite.
Ich bedanke mich und überquere die Fahrbahn, ohne dass mir auch nur entfernt aufginge, wo ich hier bin. Nachdem ich in einem unerklärlich kalten Wind an die vierzig Minuten gewartet habe, fühle ich mich, als ich schließlich von Weitem einen Bus mit der vom Busfahrer genannten Nummer auftauchen sehe, dermaßen euphorisch, dass ich sogar die Möglichkeit in Betracht ziehe, es könnte sich um eine Fata Morgana handeln.
Bei der Ankunft am Krankenhaus rechne ich kurz nach und komme zu dem Ergebnis, dass ich exakt eine Stunde und fünfundzwanzig Minuten unterwegs gewesen bin.
Auf der Station erkundige ich mich bei der Oberschwester, die mir als Allererstes sagt, dass sie mich im Fernsehen gesehen hat, und mich mit Komplimenten überschüttet, ehe sie mir verrät, dass der Zustand von Ingenieur Romolo Sesti Orfeo stabil sei, ich jetzt aber besser nicht zu ihm reingehen solle, weil der Oberarzt gerade Visite mache. Sie lächelt mich komplizenhaft an. Wenn ich jedoch warten wolle, könne ich später von ihr Näheres erfahren.
Also gehe ich ins Wartezimmer.
Wenn du dich zusammen mit einer sehr gut aussehenden jungen Frau im selben Zimmer befindest, bringt dich das in Verlegenheit, oder? Besonders, wenn du sie nicht kennst, und vor allem, wenn ihr in dem fraglichen Zimmer nur zu zweit seid?
Du fängst nämlich sofort damit an, dich aufzuführen, als hättest du irgendwas falsch gemacht, stimmt’s?
Als ob sie irgendwas Kompromittierendes über dich wüsste und es jeden Moment Hinz und Kunz erzählen könnte?
Du gibst dich also gleichgültig, spielst aber nur Theater, und das merkt selbst ein Blinder mit dem Krückstock. Außerdem macht dich die unnatürliche Anstrengung, der du dich unterziehst, dermaßen nervös, dass nicht mehr viel fehlt und du entgleist, so dass es theoretisch passieren kann, dass du wie der letzte Rüpel antwortest, wenn dich die Frau (sie natürlich absolut unverkrampft und ohne jeden Hintergedanken) nach der Uhrzeit fragt.
Das alles, ob es uns passt oder nicht, hängt damit zusammen, dass die Schönheit eine Art Wahrheit ist, die um sich herum keine Lügner duldet.
Genau das passiert mir jetzt. (Wie ich es hasse …)
Ich persönlich würde solchen Verlegenheiten lieber aus dem Weg gehen, weil ich angesichts anonymer weiblicher Schönheit vollkommen neben mir stehe. (Ich werde rot, stottere, stehe vollkommen unmotiviert auf und setze mich sofort wieder; fächle mir mit den nackten Händen Luft zu und dergleichen Peinlichkeiten mehr.) Aber das eigentlich Schlimme ist, dass ich, wenn ich erst einmal in eine solche
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