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Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Titel: Meine Schwiegermutter trinkt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diego de Silva
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Situation hineingeraten bin, von selber nicht mehr herausfinde. (Da hilft nicht mal die naheliegende Möglichkeit, weiter so zu tun, als müsste ich telefonieren, mich auf den Gang zu retten und von dort aus vielleicht sogar direkt wieder nach Hause zu fahren, zumal ich gar nicht so genau weiß, was ich hier eigentlich will.)
    Stattdessen benehme ich mich wirklich sonderbar: Ich verschanze mich allen Ernstes hinter den Seiten einer ›Marie Claire‹ von vor ungefähr einem halben Jahr, die ich mir beim Reinkommen von einem Stuhl gegriffen habe, und als ich aus dem Augenwinkel sehe, dass die junge Frau einmal, ein zweites Mal und dann nochmal zu mir herüberschaut (übrigens sieht sie ein wenig aus wie Cameron Diaz in Verrückt nach Mary und verströmt einen extrem guten Duft, ein bisschen wie Karamell), befürchte ich natürlich sofort, dass sie gleich einen Annäherungsversuch unternehmen wird (der natürlich keinen plausiblen Grund haben kann außer dem, dass sie mich im Fernsehen gesehen hat).
    Als das dann tatsächlich passiert (denn sie steht auf, kommt geradewegs auf mich zu und fragt mich von der Höhe ihrer unsagbaren Schönheit herab: ›Erlauben Sie?‹), da bleibe ich nicht nur reglos sitzen, sondern antworte ihr nicht einmal.
    »Entschuldigung«, wiederholt Verrückt-nach-Mary deshalb eine Spur lauter und mit leicht nach vorn geneigtem Kopf, damit sie mir direkt ins Gesicht schauen kann. (Mal ehrlich, man kann ihr nicht einmal verdenken, dass sie etwas verwirrt ist über meine ausbleibende Reaktion.)
    Auf die Weise bin ich gezwungen, aus dem Separee der ›Marie Claire‹ herauszukommen wie eine Schildkröte aus ihrem Panzer.
    »O. Entschuldigung. War so spannend. Der Artikel …«
    Sie wirft einen verwunderten Blick auf die Zeitschrift, übergeht meine Antwort aber stillschweigend.
    »Es tut mir leid, wenn ich Ihnen aufdringlich erscheine. Ich wollte mich Ihnen nur vorstellen. Ich bin … beziehungsweise, na ja, ich war die Freundin von Massimiliano Sesti.«
    Sie sagt es ohne jede Unsicherheit und schaut mir dabei direkt in die Augen, wie jemand, dem gar nicht in den Sinn kommt, dass er falsch verstanden werden könnte.
    Kein Zucken in ihrem Gesicht, kein Lächeln aus purer Höflichkeit, kein unsicheres Wimperngeklapper, keine Spur von Verlegenheit.
    Durch ihre vorbildliche, durchgehend würdige Haltung klingt meine Schüchternheit schlagartig ab. Ich klappe die ›Marie Claire‹ zu, stehe auf und reiche ihr die Hand.
    »Angenehm. Vincenzo.«
    »Irene«, erwidert sie.
    Unglaublich müde sieht sie aus. Am liebsten würde ich sie fragen, ob sie heute Nacht überhaupt geschlafen hat.
    »An Ihren Nachnamen hab ich mich erinnert, nicht an den Vornamen«, fügt sie hinzu, und endlich lächelt sie. (Himmel: als wäre hier drinnen plötzlich die Sonne aufgegangen!)
    »Das glaube ich Ihnen sofort«, sage ich. »Mein Nachname ist das Einzige an mir, was man nicht so schnell vergisst.«
    Ihr Lächeln zieht sich jetzt von den Mundwinkeln hoch bis in die Augen (deren Farbe ich übrigens nicht definieren kann. Nur darin ertrinken, das schon).
    »Vielleicht spielt es keine Rolle, aber ich wollte Ihnen sagen, dass ich sehr geschätzt habe, was Sie gemacht haben.«
    »Glauben Sie mir, ich habe gar nichts gemacht«, antworte ich bescheiden (und meine das auch ganz ehrlich, Hand aufs Herz!). »Ich kann mich nicht mal mehr erinnern, was genau ich gesagt habe. Ich habe improvisiert und nur gehofft, dass diese Quälerei für alle Beteiligten bald ein Ende nimmt. Ich weiß auch nicht, ob ich mich an dem, was mit dem Ingenieur passiert ist, schuldig fühlen muss oder nicht. Vielleicht bin ich ja auch deshalb heute hier hergekommen.«
    »Sie brauchen sich nicht schuldig zu fühlen.«
    »Wie können Sie das sagen?«
    »Er hätte es so oder so getan.«
    Ich schaue ihr in die Augen und suche nach einer Bestärkung der Entschiedenheit ihrer Aussage, aber auch jetzt macht sie keinerlei Zugeständnis.
    Deshalb rede ich weiter: »Ich habe ihn abgelenkt und damit dem Carabiniere ermöglicht einzugreifen.«
    Irene schüttelt den Kopf. Nur ein Mal. Energisch.
    »Das zählt nicht. Ich glaube sogar, es war kein Zufall, dass er sich hat ablenken lassen.«
    »Warum sind Sie sich da so sicher?«
    »Weil ich weiß, was er gefühlt hat.«
    Ich schweige.
    Wir mustern einander.
    »Darf ich Sie etwas Persönliches fragen?«, presche ich vor. (Mein Ton ist leicht indiskret, merke ich.)
    »Bitte.«
    »Wie lange haben Sie nicht mehr

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