Meine Schwiegermutter trinkt - Roman
geschlafen?«
Danach zu urteilen, wie sie mich anschaut, ist sie mit meiner Frage nicht ganz unzufrieden.
Die Zukunft ist
verdrängte Vergangenheit
Was würde ich darum geben, mich mit meiner Vision getäuscht zu haben: nach Hause zu kommen, in ein leeres Zuhause, ist noch schlimmer als ich dachte.
Schlimmer als der mörderische Rauch aus Lost .
Schlimmer als Diario von Equipe:
Noch bevor ich den Schlüssel ins Schloss stecke, packt mich die Einsamkeit beim Wickel. Und als ich hinter mir die Tür zumache, liegt Alessandra Persianos Abwesenheit förmlich in der Luft, hat schon den Sinn der Dinge angenagt, die Wände abgenutzt, den Grundriss der Wohnung zerknautscht.
Von der Diele bis zum Schlafzimmer steigen die Symptome exponentiell. Unterbewusst ahme ich sogar eine Reihe filmischer Stereotypen für diese Situation nach: Ich ziehe mir die Jacke aus, werfe sie auf den stummen Diener von Foppapedretti (das einzige Stück in meinem Besitz, das nicht von Ikea ist, ein Weihnachtsgeschenk von Alagia und Alf), verfehle ihn (knapp!), stelle mich mit dem Rücken zum Bett (das alte HEMNES , aber mit einer neuen SULTAN FINNVIK -Matratze mit Memoryschaumschicht, die Alessandra Persiano ausgesucht hat, zusammen mit den GOSA KLÄTT -Kissen, entwickelt speziell für Seitenschläfer wie uns), breite die Arme aus und lasse mich auf den Bettüberwurf ASTRAKAN fallen, der bei meiner Landung mit einem leisen Pffffff Luft ablässt.
Und während ich mich ein wenig in Selbstmitleid übe und in Christuspose zur Decke hinaufschaue, überlege ich mir (eben zum Thema Kino), wie schön es doch wäre, wenn ich jetzt einen Schnitt machen, die Gegenwart überspringen und zu weniger trostlosen Zeiten vorspulen könnte: Wenn mein Bild sich jetzt in einer Blende auflösen und in eine andere Szene übergehen würde, in eine Außenaufnahme bei Tageslicht (unten würde der Schriftzug ›Ein halbes Jahr später‹ erscheinen), und ich würde mich wiedersehen, wie ich, was weiß ich, an einem Café vorbeischlendere, vielleicht in Paris, wo ich auf eine Frau warte, die Emmanuelle Béart in Enfer von Chabrol ganz unglaublich ähnlich sieht (oder die sie vielleicht sogar ist). Eine Frau, die schon im nächsten Moment auftauchen würde, völlig außer Atem, mich zärtlich auf den Mund küssen und mich (selbstverständlich auf Französisch, das ich in dem dazwischenliegenden halben Jahr perfekt gelernt hätte) fragen würde, ob ich schon lange auf sie gewartet habe; und dann würden wir, während der Abspann läuft, den Boulevard Saint-Germain entlangspazieren.
Was ich am Kino wirklich irre finde, ist die Schmerztherapie. Wie es das Unglücklichsein verdrängt. Wie es zensiert, welche Mühe es kostet, bis man da wieder rauskommt. Wie das Leben erst dann weitergeht, wenn es wieder erträglich geworden ist. Was gäbe ich nicht darum, wenn ich das ›Ein halbes Jahr später‹ in meinem Leben auch außerhalb des Films praktizieren könnte!
O, ich weiß schon, was ihr jetzt denkt. Schon höre ich den Einwand: ›Ja, gut, aber auch die Zwischenzeit gehört zum Leben, und wenn du sie einfach überspringst, ist das, als würdest du in der Pause sterben.‹
Dann hört euch mal das an: ›Besser fügt man den Tagen Leben hinzu als dem Leben Tage.‹
Da staunt ihr, was?
Und wisst ihr, wer das gesagt hat?
Rita. Levi. Montalcini.
Die hat das gesagt.
Deshalb zum Teufel mit der Rhetorik, dass das Leben seinen Wert hat, auch wenn es Leid bringt. Was mich betrifft, vermeide ich das Leid lieber, wenn’s geht.
Der Vollständigkeit halber ist an dieser Stelle noch zu sagen, dass man auch in der Literatur das ›Ein halbes Jahr später‹ machen kann – wenn man ein Kapitel etwa mit einer Trennung oder einem Todesfall enden lässt, ohne zu erzählen, was danach passiert, und dann mit dem nächsten Kapitel weitermacht, so als hätte der Leser nicht gerade eben, vor einer Seite, einen ziemlichen Hammer vorgesetzt bekommen.
Und was macht der Leser, der ja allein ist mit dem Buch und seiner Fantasie und der sich alle Vorstellungen selber machen muss (ohne Zuhilfenahme von Beleuchtung, Körpern, Stimmen und musikalischen Untermalungen)?
Der verinnerlicht die nicht erzählte dazwischenliegende Zeit und schleppt sie als reine Melancholie ins nächste Kapitel mit.
Das Kino, das ja vergleichsweise über viele verschiedene Mystifizierungsinstrumente verfügt und vor allem das Privileg des Lichts genießt, ist da gnädiger, denn es gibt dem Zuschauer gar nicht die
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