Meine Schwiegermutter trinkt - Roman
Meisterwerke mit meiner Handykamera. Leider geht das in diesem Fall aber nicht, weil ich mein Telefon gerade am Ohr habe. Aber weil ich mir die Gelegenheit zum Archivieren eines solchen Prachtstücks an improvisiertem Analphabetentum keinesfalls durch die Lappen gehen lassen will, muss ich wohl bis zum Ende des Telefonats hier stehen bleiben, um das Foto unmittelbar im Anschluss schießen zu können.
»Papa«, sagt Alf.
»Sag deiner neurotischen Schwester, dass sie eine ungehobelte Schreckschraube ist«, antworte ich prompt.
»Gut, in Ordnung, mach ich. Aber sag, was ist das jetzt für eine Geschichte mit Oma?«
»Was soll ich dir sagen, Alfre’. Sie will die Chemo nicht machen. Ihr ist nicht danach.«
»Aber sie wird sterben!«
»Ja, ich weiß.«
Gott, wie frustrierend das ist!
»Hast du probiert, sie zur Vernunft zu bringen?«
Ich sage nichts.
»Papa? Hallo?«
Ich atme tief durch, damit ich präpariert bin für das Lügenmärchen, das ich meinen Kindern aufzutischen beschlossen habe.
»Ja, hab ich«, sage ich und fahre mir vor Scham mit der Hand über die Stirn, »aber du kennst ja deine Großmutter: die redet nicht – sie erlässt Dekrete.«
Zum Zeichen meiner Machtlosigkeit stoße ich einen Seufzer aus.
»Und wie sollen wir das jetzt bitte schön Mama beibringen?«
Ich gebe keinen Kommentar ab, also redet Alfre’ einfach weiter, wie in einem Selbstgespräch.
»Und dass Oma sie bei alledem immer noch nicht sehen will! Scheiße, das geht echt gar nicht! Und mit uns tut sie genauso distanziert. Was sollen wir eigentlich noch alles? Gegen den Krebs von Oma ankämpfen – und jetzt auch noch gegen Oma, die nicht gegen den Krebs ankämpfen will? Warum sind wir nur eine dermaßen verquere Familie, Papa? Warum machen wir immer alles so kompliziert? Warum können wir mit unseren Problemen nicht so umgehen wie andere, normale Familien auch?«
Auch hier habe ich nicht das Bedürfnis, etwas hinzuzufügen.
»Papa?«
»Hmmh.«
»Warum sagst du denn nichts, Mann!«
»Ich hab dir zugehört, Alfre’.«
»Und wenn schon«, regt sich mein Sohn jetzt auf, »dann gib wenigstens einen Piep von dir, grunz von mir aus oder mach sonst irgendwas, damit ich weiß, dass du noch dran bist, Menschenskind! Ich hab das Gefühl, ich führe hier Selbstgespräche!«
»Siehst du?«, höre ich ganz in der Nähe sein Aas von Schwester sagen.
Ich bin gekränkt.
»Komm schon, Alf, jetzt beruhig dich mal. Die erste Sitzung ist in einer Woche. Vielleicht ändert sie ihre Meinung ja noch.«
»Bis dahin willst du also nichts unternehmen?« Mein Filius ist fassungslos.
Einen Moment lang sehe ich alles verschwommen.
»Entschuldige, wiederholst du das bitte nochmal?«
Mir zittern die Lippen.
»Hör mal, Papa, hier muss man doch …«, probiert er zurückzurudern, da er das aufziehende Donnerwetter spürt, aber ich lasse ihn erst gar nicht ausreden:
»Jetzt hör mir mal gut zu, junger Mann: für wen haltet ihr mich, ihr beiden? Für euren Mann in Havanna?«
Er setzt zu einer Antwort an, aber ich bügle ihn einfach ab:
» Ich kann nichts dafür, wenn deine Oma beschließt, sich nicht behandeln zu lassen, capito? Genauso wenig wie ich was dafür kann, wenn sie ihre Tochter nicht sehen will!«
Ich halte kurz inne und schaue mich um, weil ich merke, dass ich schreie.
Alf wagt nicht zu antworten.
Was mir neue Kraft für die Fortsetzung meiner Schimpftirade gibt:
»Wie wäre es, wenn ihr zur Abwechslung mal selbst euren Arsch bewegt, statt mir all diese beleidigten und unverschämten Vorhaltungen zu machen – und noch dazu am Telefon! Warum geht ihr nicht selber zu eurer Oma und klärt diese ganzen Prinzipienfragen selbst mit ihr?«
»Papa, jetzt wart doch mal …«
»Wisst ihr schon das Neueste? Ich hab es satt, euer Sündenbock zu sein! Ich hab nämlich meine eigenen Probleme, und die halse ich weder dir noch deiner Schwester und schon gar nicht deiner Mutter auf, verstanden? Lernt ihr drei gefälligst, das genauso zu machen und lasst mich endlich mit eurem Scheiß in Frieden!«
Als das gesagt ist, beende ich das Gespräch.
Im selben Moment geht mir auf, dass ich soeben die Lektion von Ass eins zu eins weitergegeben habe. Und weil ich die wirklich befreiende Wirkung am eigenen Leib zu spüren bekomme, von der sie gesprochen hat, fühle ich mich ihr noch enger verbunden als zuvor. Wenn ich das Handy nicht schon auf die Kamerafunktion umgestellt hätte, um die Anzeige von den deutschen Schäferhunden mit exzellenter
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