Meine Schwiegermutter trinkt - Roman
den Gedanken zu bringen, du könntest sie angelogen haben. Verstrick dich nicht in Widersprüche, stell dich dumm und schieb das Problem auf sie. Benimm dich immer so, als ob du dir nicht erklären könntest, weshalb sie sich so verhält. Wenn sie aus dem Grund weggegangen ist, also weil sie denkt, dass du mit einer anderen im Bett warst, dann kommt sie schon wieder, du wirst sehen.«
Verwirrt durch den professionellen Zuschnitt, den Espe meinem Drama gegeben hat, lasse ich meinen Blick schweifen. Seine Interpretation erschafft so etwas wie eine Neudimensionierung meines Liebeskummers (die mir eine, wie ich sagen muss, ziemlich widerliche Version meiner selbst vor Augen führt).
Tatsächlich beunruhigt mich diese gewissermaßen kriminologische Herangehensweise, weil sie sich an den schäbigsten Teil von mir wendet, und zwar direkt, ganz unverblümt. Als würde Espe mir sagen:
›Ich werde dich hier doch nicht bestärken in deinem aufgesetzten Rumgejammere, als wärst du Wunder was für ein komplizierter Mann, dem aus irgendwelchen schwer vermittelbaren Gründen die Frau abhandenkommt. Begeben wir uns doch mal auf eine schlichtere Ebene. Gehen wir davon aus, du bist ein Ferkel und steigst gern mit der Erstbesten ins Bett.
Dementsprechend werde ich dich nicht wie einen kaputten Intellektuellen behandeln, sondern wie einen scheinheiligen Macker, der einfach nur ficken und dabei ungeschoren davonkommen will. Deshalb, und ohne dass wir ewig um den heißen Brei rumreden: hast du wenigstens aufgepasst und keine Spuren hinterlassen?‹
Sosehr ich seine guten Absichten zu schätzen weiß, verspüre ich doch ein dringendes Bedürfnis, mich von einer so materialistischen (oder besser: materialfixierten) Version meines Kummers zu distanzieren.
»Ich glaube, du siehst die Dinge ein wenig zu eng«, murmele ich pikiert.
Espe hält inne, als wolle er mich auslachen, mich aufziehen oder beides; dann schwenkt er auf eine versöhnlichere Linie ein.
»Vielleicht. Aber falls ich doch recht habe, gib mir ruhig Bescheid.«
»Okay.«
»Und übrigens: das Essen mit den beiden Zuckerschnecken ist immer noch morgen. Nicht dass du mir noch im letzten Moment mit einer halbherzigen Ausrede kommst, ja?«
»Nein, keine Bange, ich werde da sein.«
»Wirst schon sehen, dann geht’s dir gleich wieder besser.«
So, wie er das sagt, jagt Espe mir einen Schauder über den Rücken. Vor meinen Augen ersteht ein Bild, bei dem mir das Blut in den Adern gefriert.
»Sag mal, nur damit ich Bescheid weiß: Du malst dir doch nicht etwa schon so was wie Gruppensex aus?«
»Machst du Witze?« Er lacht laut auf. »Nee, nee, ich bin noch von der altmodischen Sorte.«
»Hör mal, nur damit eines klar ist: Ich komme nur mit. Mehr nicht.«
»Na klar. Weiß ich. Wie oft willst du mir das noch sagen?«
»Du glaubst mir wohl nicht?«
»Na, hör mal, wieso sollte ich dir nicht glauben? Du hast ein gebrochenes Herz, das macht immun. Was für einen Eindruck sollten da zwei affengeile Weiber auf dich machen, die es kaum erwarten können, einen Abend mit dir zu verbringen?«
»Du kannst mich mal, Espe.«
»Ja, meinetwegen. Pass auf, ich hole dich um acht ab. Zieh dir einen schicken Anzug an. A propos, hast du so was überhaupt?«
Ohne ihn noch einer Antwort zu würdigen, drücke ich Espe aus der Leitung und setze meinen Trauermarsch durch die Wohnung fort, wobei ich wieder an meine noble Verzagtheit anzuknüpfen versuche, um mich von der schrecklichen Peinlichkeit zu reinigen, die dieser nicht gerade unschuldige Plausch zwischen alten Freunden bei mir hinterlassen hat.
Aber da ist nichts zu machen, ich fühle, dass ich schon ein anderer geworden bin.
Also greife ich schamlos ins Archiv Glückliche Momente , wo ich aus dem ersten Halbjahr meiner Beziehung mit Alessandra Persiano ein paar wirklich unvergessliche Erinnerungen hervorkrame; dann singe ich, allerdings ohne jeden Neben- oder gar direkten Effekt, den Refrain E mi manchi amore mio von Laura Pausini (erst gestern noch rührte er mich aus den Fenstern eines vorbeifahrenden Cinquecento heraus schier zu Tränen), und setze schließlich mit dem Evergreen Se bruciasse la città von Massimo Ranieri alles auf eine Karte (er ist wirklich perfekt zugeschnitten auf meine Situation, merke ich beim Singen – eine Trennung unter dem erschwerenden Umstand geographischer Distanz), aber auch hier: absolute Fehlanzeige.
Dass auch dieser letzte Versuch scheitert, macht mir ernsthaft Sorgen: Se bruciasse la
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