Meine Schwiegermutter trinkt - Roman
verfasst sind. Dass jedes einzelne Dokument irgendwie mit mir zu tun hat, insofern ich selbst der Verfasser bin, ist klar – ich gelobe jedoch, mich bei der Analyse so kritisch zu verhalten wie ein Insektenforscher, der ein Insekt unter die Lupe nimmt.
Also, los geht’s:
Hier das Beispiel für eigennütziges, zweckgebundenes Schreiben * :
Vielleicht müssten wir so langsam zu der Einsicht gelangen, dass diese Beziehung unser Leben nicht besser, sondern allenfalls komplizierter macht. Versuchen wir also zu analysieren, was genau zwischen uns kaputtgegangen ist – und warum. Gemeinsam finden wir dann die für beide Seiten am wenigsten schmerzhafte Lösung.
Stilistisch wird sofort klar: Der Autor heuchelt, was das Zeug hält (und bemüht sich nicht einmal, seine Heuchelei zu vertuschen). Er verhält sich in seiner Argumentation wie ein Reptil, das sein Opfer bereits von Weitem sichtet, es langsam einkreist und in aller Seelenruhe den günstigen Moment zum Zubeißen abwartet: Er tut nämlich nur so, als sei er in seiner Argumentation noch zu keinem Ergebnis gelangt (man beachte nur das schwammige Prädikat ›zur Einsicht gelangen‹, dessen semantischen Gehalt er noch weiter verwässert, indem er sich mit einem ›Vielleicht‹ abfedert und für eine weiche Landung noch zusätzlich das ›so langsam‹ auslegt. Er ist also gar nicht bereit, die Anstrengung des Zur-Einsicht-Gelangens wirklich auf sich zu nehmen, wie man unschwer zwischen den Zeilen herauslesen kann). Was man zwischen den Zeilen aber intuitiv spürt, ist seine Haltung zu dem Problem: Ich weiß, wo’s langgeht , scheint er selbstbewusst zu sagen; und da er die Bürde der Trennung (auf die er im Übrigen argumentativ hinsteuert) nicht alleine tragen will, versucht er, die Hälfte der Schuld heimtückisch auf die andere Seite abzuwälzen. Ja, mehr noch: Er fordert sein Gegenüber sogar noch zu einer metaphorischen Einverständniserklärung auf; zu einem emotionalen Briefing, das heimtückisch nur den einen Zweck verfolgt: ein Problem zu diskutieren, dessen Lösung er in Wirklichkeit schon längst kennt (nämlich die Frau zu verlassen und sie dabei auch noch in dem Glauben zu lassen, die Trennung sei einvernehmlich erfolgt).
Kurzum: eine absolut miese Tour.
Versuchen wir jetzt, über dieselbe Sache (also: die Liebe im Endstadium) neutral zu schreiben. Dabei könnte folgender Text herauskommen (na gut, nochmal in ehrlich: nach der schmachvollen, beschämenden Lektüre des Miese-Tour-Dokuments kam das hier heraus):
Akzeptier doch einfach die beschissene Situation, Vince’: Ihr seid gegen die Wand gefahren, und zwar alle beide. Sich noch lang zu fragen, wie und warum es so gekommen ist, ist verlorene Zeit. Los, sei endlich ehrlich: Die Situation ist doch die, ihr schaut euch an und redet über was vollkommen anderes als das, was ihr vorgebt. An diesem Punkt stellt sich nur noch die Frage: Wer redet zuerst?
Hier zieht der Autor ein vollkommen anderes Stilregister: Er verzichtet nicht nur auf die Heuchelei der ersten Person, sondern stellt sich als Alter Ego sozusagen sich selbst gegenüber, wobei er sogar so weit geht, sich in diesem inneren Monolog selbst anzusprechen (und zu duzen). Diese Verdopplung ist notwendig, um den Reptilieneffekt zu vermeiden (an dieser Stelle ließe sich also die Lehre ziehen: ›Wenn du authentisch schreiben willst, entledige dich deines inneren Reptils‹), um die Kontrolle über die laufenden Ereignisse zurückzugewinnen und das Gesetz des Verschweigens zu durchbrechen, das die Miese-Tour-Tonalität beherrschte.
Und jetzt kommt auch endlich alles ins Rollen: Der Verfasser packt das Thema bei den Hörnern und gesteht (sich und jedem, der es lesen will), ohne lange um den heißen Brei herumzureden, zwei Grundwahrheiten ein. Erstens: ›Wir sind gegen die Wand gefahren‹ und zweitens: Der entstandene Schaden ist irreparabel (und selbst wenn er reparabel wäre, suggeriert der Autor, würde sich eine Reparatur nicht lohnen). Diese Ehrlichkeit rechtfertigt sogar den Gebrauch des ebenso beredten wie zynischen Bildes vom Einander-Ansehen und gleichzeitig Aneinander-Vorbeireden (was haargenau die Verlegenheit zwischen zwei Menschen beschreibt, die aufgehört haben, sich zu lieben).
So, und jetzt vergleicht bitte die beiden Beispiele und sagt mir, welche der ›Schreibweisen‹ ihr bevorzugt (wobei mir natürlich durchaus bewusst ist, dass das eine nicht ganz unvoreingenommene Bitte ist).
Habt ihr euch entschieden?
Gut, dann
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