Meine Schwiegermutter trinkt - Roman
Sorgen, ich habe nicht vor, irgendwas Unbedachtes zu tun.«
»Das könnten Sie auch gar nicht«, erwidert Ingenieur Romolo Sesti Orfeo.
»Genau«, gibt ihm Mulder recht. »Schauen Sie«, sagt er und löst das Halfter vom Gürtel, »ich lasse meine Pistole bei meiner Kollegin.«
Ingenieur Romolo Sesti Orfeo holt tief Luft und atmet langsam wieder aus. Vielleicht beunruhigt ihn die Vorstellung, dass unter einem der Regale ein Kind hocken könnte, wirklich.
»Na gut«, gibt er seine Vorbehalte schließlich auf. »Ich lotse sie, sobald sie drinnen sind. Folgen Sie einfach meinen Anweisungen.«
»In Ordnung«, sagt Mulder hoffnungsvoll und betritt den Einkaufsbereich.
»Nehmen Sie den Gang links. Gehen Sie am Brotregal entlang und halten Sie sich immer rechts. Gehen Sie in normalem, gleichmäßigem Tempo. Kein Gerenne! Wenn Sie sich bücken, um unter die Regale zu schauen, bleiben Sie nicht stehen, sondern gehen Sie immer weiter, es sei denn, dort hält sich wirklich ein Kind versteckt, wie Sie sagen. Weichen Sie nicht vom Kurs ab und kehren Sie nicht um. Wenn Sie am Ende des Gangs angekommen sind, gehen Sie zu Herrn Rechtsanwalt Malinconico.«
Er zeigt auf mich, um sicherzustellen, dass ich wirklich am Ende des Ganges stehen bleibe und als Pfosten diene (worauf ich Matteo anschaue und denke: ›Warum ich? Warum nicht er?‹).
»Dort bleiben Sie dann stehen«, fährt der Ingenieur fort. »Tun Sie genau, was ich Ihnen sage – das ist eine Warnung, Capitano. Ich folge Ihnen auf dem Monitor. Verstanden?«
»Verstanden«, bestätigt Mulder.
Und macht sich auf den Weg.
»Capitano!«, bremst ihn Ingenieur Romolo Sesti Orfeo gleich wieder ab.
»Was?«, antwortet der Carabiniere.
»Die Pistole.«
Wie ich diesen Wortwechsel zum Ende der Szene so höre, frage ich mich: ›Ist das jetzt ein Klassiker oder ein Klischee?‹ Manchmal ist es gar nicht so leicht, den Unterschied zu erkennen.
Mulder schlägt sich mit der Hand gegen die Stirn (er wirkt aufrichtig) und übergibt Scully die Pistole.
»Entschuldigung«, sagt er in die Kamera, »das war keine Absicht.«
»Sie hätten sie sowieso nicht gebraucht. Los jetzt, gehen Sie.«
So war das alles gar nicht
(macht aber nichts)
Die Erkenntnis, dass die Krise mit Alessandra Persiano nicht erst am Anfang, sondern sogar schon auf halber Strecke war, kam mir eines Vormittags im Gericht, als ich aus einem Zivilverhandlungssaal voller nicht gerade wohlriechender Kollegen trat. Dort hatte ich eben eine Verlegung der mündlichen Verhandlung auf einen wesentlich späteren Termin erwirkt (wie das alle machen. Hier in Italien sind mehr als fünf Millionen Zivilprozesse anhängig; jaja, ich weiß, dass ihr euch über die Zahl vielleicht nicht mal so sehr wundert, aber ich versichere euch, solange man nicht in die Statistik eintaucht, macht man sich nicht klar, wie es mit der Justiz hier bei uns wirklich aussieht. Fünf Millionen Terminverlegungen – das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen! Dieser bürokratische Aufwand!)
Jedenfalls überkam mich just in dem Moment, in dem ich den Gerichtssaal verließ, die Gewissheit, dass etwas nicht mit uns stimmte (die Gewissheit im Sinne eines auf die Zukunft bezogenen Déjà-vus; das Gefühl einer rettungslosen Einsamkeit, der du nicht entrinnen kannst. Ein Gefühl, als hättest du beim Heimkommen gerade den Zettel auf dem Küchentisch gefunden. In der Mitte gefaltet.)
Tatsächlich wollte ich mich schon hinterm Kopf kratzen und hätte das wohl auch getan, wenn ich nicht meine liebe Not gehabt hätte, mich zwischen den Bäuchen zweier in beigefarbenen Anzügen steckender Kollegen durchzulavieren, die für meine wiederholten Versuche, mich dünn zu machen, absolut unempfindlich waren, da sie unbedingt die (ganz offensichtlich aufgemotzten) Geschichten ihrer jüngsten beruflichen Erfolge austauschen mussten (kaum zu glauben, was für einen Quark wir Menschen uns aus purer Renommiersucht selbst noch im fortgeschrittenen Alter erzählen).
Fragt mich nicht, weshalb mich diese Vorahnung heimsuchte oder warum mir der Schreck darüber so in die Glieder fuhr. Ich weiß es nämlich nicht. Was ich in meiner nicht gerade denkwürdigen sentimentalen Laufbahn freilich kapiert zu haben glaube, ist, dass wir, sobald wir uns von jemand, den wir geliebt haben (oder den wir immer noch lieben), entfernen, einen Haufen Spuren in unserer Wohnung hinterlassen. Kleine Botschaften der Unaufmerksamkeit und der Unzufriedenheit, die wir überall
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