Meine Schwiegermutter trinkt - Roman
Ich sage nur: Pulp Fiction . Samuel L. Jackson, der den Opfern aus dem Buch Ezechiel rezitiert – zumindest behauptet er das.
Was lernen wir daraus?
Ganz einfach: Wenn ein Bewaffneter im Kino anfängt, ambitionierte Reden zu schwingen, während er die Waffe auf jemanden gerichtet hält, dann ist es so gut wie sicher, dass er auch schießt.
»Ich weiß, ich weiß, Sie haben recht«, antwortet Mulder, der versucht, möglichst beruhigend zu klingen, »aber man braucht die Dinge doch nicht noch komplizierter zu machen, als sie ohnehin schon sind.«
Er hebt die Hände und weicht zwei Schritte zurück.
»Sehen Sie, ich gehe ja schon wieder.«
Ingenieur Romolo Sesti Orfeo antwortet nicht. Möglicherweise hat er im Rausch des Hochgefühls, das ihm der Finger am Abzug verleiht, gar nichts gehört. Schaut ihn euch nur an: Er sieht aus wie ein Lustgreis, dessen Augen am Po einer Minderjährigen kleben und der erst merkt, dass er sich danebenbenimmt, wenn man ihn aus dem Bus schmeißt.
So langsam müsste ich was unternehmen.
Sei’s drum: Ich tue es auch.
»Was ist auf einmal in Sie gefahren, Herr Ingenieur?«, spreche ich ihn an. »Wollen Sie alles kaputt machen?«
Worte wie eine kalte Dusche. Ingenieur Romolo Sesti Orfeo dreht sich zu mir her und klimpert zweimal mit den Wimpern, weil er offenbar Mühe hat, mich wiederzuerkennen.
Genau das hatte ich mir erhofft.
»Was?«
»Ich hatte verstanden, dass Sie ihm den Prozess machen wollten«, sage ich und gebe mich enttäuscht. »Deshalb haben Sie mich doch gebeten, hierzubleiben, oder etwa nicht?«
»Aller…dings.«
»Dann machen Sie jetzt keine Dummheiten. Auch wenn Sie ihm nur in den Fuß schießen – er könnte verbluten.«
Romolo Sesti Orfeo schaut nachdenklich in die Luft. Vollzieht den Gedanken nach.
Lässt die Pistole sinken.
Streicht sich mit der anderen Hand über die Stirn.
»Ja. Sie … haben ganz recht, Herr Anwalt.«
»Gut«, sage ich.
Alle stoßen wir einen Seufzer der Erleichterung aus. Vor allem Matrix, dem ich aber sofort einen eisigen Blick zuwerfe, damit klar ist, dass ich ihm gerade den Arsch (und nicht nur den Fuß) gerettet habe, falls er das noch nicht gerafft haben sollte.
Matteo der Wurstwarenverkäufer pfeift auf eine Erlaubnis, setzt die Flasche an und nimmt einen tiefen Schluck.
Was ohne Folgen bleibt: Romolo Sesti Orfeo steht durch den emotionalen Umschwung noch zu sehr unter Schock, als dass er Matteo tadeln könnte (wenn ich wollte, denke ich, könnte ich ihn sogar entwaffnen: aber ich werde mir doch das Leben nicht schwer machen, bloß um Matrix einen Gefallen zu tun).
Mulder schaut mich jetzt mit ganz neuen Augen an, gerade so, als ob ich durch den Coup in den Rang eines Kollegen befördert worden wäre. Ich bedeute ihm, dass er gefälligst verschwinden soll, immerhin hat sein Erscheinen hier zu all den Unwägbarkeiten geführt.
Er folgt meinem Vorschlag, weicht zurück, dreht sich um und geht, wie er gekommen ist. Ich sehe ihn im Monitor wieder zu Pac-Man werden und das Warenlabyrinth in entgegengesetzter Richtung durchlaufen.
»Ich glaube, ich habe Ihnen zu danken, Herr Rechtsanwalt«, sagt derweil Ingenieur Romolo Sesti Orfeo, der jetzt wieder ganz klar ist, wendet sich aber sofort wieder Matrix zu. »Ach was, eigentlich solltest du ihm danken«, korrigiert er sich. »Wenn er nicht gewesen wäre, wärst du jetzt ein lahmer Mann.«
Der starrt jedoch beharrlich auf den Fußboden.
»Es geht nichts über Dankbarkeit«, merke ich spitz an.
Ich scheine einen Nerv getroffen zu haben, denn prompt setzt Matrix an und will etwas sagen. Aber ich komme ihm zuvor.
»Komm, erspar uns deinen Kommentar!«, fahre ich ihn an. »Sag einfach gar nichts mehr. Mein Gott, ihr 416a-ler, ihr tickt doch alle gleich. Macht einen auf kriminelle Profis, taucht Ewigkeiten unter, ohne dass ihr jemals geschnappt werdet, sie machen Filme und sonst was über euch, und dann schafft ihr’s, euch doch noch eine Kugel zwischen die Augen einzufangen, weil ihr euren verdammten Mund nicht halten könnt.«
»Aber ich …«, versucht Matrix zu protestieren.
»Es reicht, hab ich gesagt. Du hast schon genug Unheil angerichtet.«
Ingenieur Romolo Sesti Orfeo lächelt zufrieden:
»Sehen Sie jetzt ein, dass hier ein Rechtsanwalt nötig war?«
Dazu sage ich nichts, weil mir bewusst wird, wie sehr er recht hat. Gerade habe ich mich an Matrix gewandt wie ein Strafverteidiger an seinen Mandanten. Und das, obwohl es mein fester Vorsatz war, nie mehr solche
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