Meine Schwiegermutter trinkt - Roman
wirklich gefressen. Sobald der Gast einer Talk-Show über einen Konjunktiv stolpert, spielen die sich nämlich als Sprachwächter und hypersensible Ästheten auf, verteilen den Prominenten Noten für ihre Manieren und bemängeln, wie sie die Gabel zum Mund führen oder ihre Kleidungsstücke miteinander kombinieren.
Damit wir uns recht verstehen: Ich bin der Erste, der darüber lacht, wenn einer in der Öffentlichkeit eine Schote loslässt. Aber ich bin kein Jäger von Analphabeten. Diese Art von Sadismus ist mir fremd.
Außerdem, wenn wir schon dabei sind: Um jemanden beurteilen zu dürfen – wohlgemerkt auch einen Big Brother -Kandidaten –, sollte man selbst etwas geleistet haben im Leben. Aber schaut euch doch nur mal das Durchschnittsprofil des Trash-Fans an: Dann habt ihr in neun von zehn Fällen einen unausgegorenen Menschen aus dem bürgerlichen Mittelstand vor euch, einen, der eigentlich eine Familie zu versorgen hätte, sich aber seinerseits von der Familie (oder gar von der Ehefrau) aushalten lässt, einen Typen ohne Talent zwar, aber wenigstens mit Allgemeinbildung (und regelmäßig gescheiterten künstlerischen oder intellektuellen Ambitionen), kurzum: einen Typen, der auf die Frage: ›Was machst du nochmal beruflich?‹, erst in ein düster-tragisches Schweigen verfällt und seinen Gesprächspartner dann mit Erklärungen überschüttet, die den in maximale klaustrophobische Verlegenheit bringen.
Wie ein Triebtäter stellt der Trash-Fan in der verzweifelten Absicht, sich für seine Lebensgeschichte zu rächen, eine pingelige Kompetenz in Sachen schlechter Geschmack (speziell im Fernsehen) zur Schau.
Kurz gesagt: Der typische Trash-Begeisterte leidet an chronischer Erfolglosigkeit. Obwohl die Tatsachen (und vor allem sein Lebensalter) dagegen sprechen, ist er überzeugt davon, künstlerisch begabt zu sein. Ein bisschen wie die Alten, die sich innerlich jung fühlen. Er hat verschiedene Karrieren ausprobiert und eine davon immer als Alibi in der Hinterhand (Politiker oder wahlweise Journalist; Rockstar bzw. Musikkritiker; Dichter bzw. Schriftsteller; Regisseur bzw. TV -Drehbuchautor; die Aufzählung ließe sich noch beliebig fortsetzen), aber die schlichte und ergreifende Wahrheit ist, dass er rein gar nichts richtig kann.
Angesichts dieser elementaren (und unschönen) Erkenntnis hat der chronisch Erfolglose nun das Kunststück vollbracht, sich das eigene Scheitern als Beweis seiner künstlerischen Mehrfachbegabung schönzureden und sich von allem ein wenig herauszupicken.
Infolge solch unmotivierten Vertrauens auf ein Talent, das noch seiner Spezifizierung harrt, bleibt es praktisch dem Zufall überlassen, worauf sich der Ruhm des chronisch Erfolglosen gründen soll. (Wenn eine entsprechende Anfrage an ihn käme, würde er vom neorealistischen Kino bis zum Kabarett schlechterdings alles machen.)
So gesehen besteht also keinerlei Unterschied zwischen ihm und einem Möchtegern-Sternchen, für das eine kleine Rolle in einer Kinoschmonzette oder in einem Ministerium vergleichbare Stufen auf der Karriereleiter sind. Aber das Möchtegern-Sternchen ist gerade erst achtzehn geworden und kann sich den Minirock erlauben: er nicht.
Der chronisch Erfolglose bringt sein Leben letztlich in Erwartung der ultimativen Chance zu, die es schlagartig verändern wird. Wenn er nur die Gelegenheit dazu bekäme, würde er die Welt beglücken, davon ist er felsenfest überzeugt. Weil ihm die Welt jedoch nicht die geringste Aufmerksamkeit schenkt, geht der Erfolglose im Netz in die Offensive und macht dort alles runter, was ihm unterkommt. (›Schonungslose Kritiken‹ nennt er den Unsinn dann, den er hingebungsvoll auf dem elektronischen schwarzen Brett verzapft.) Die Themen des chronisch Erfolglosen reichen dabei vom Kino bis zum Fernsehen, von der Dichtung bis zur Literatur, von Politik bis zu Alltagskultur, vom Techno bis zur Oper, von der Innenarchitektur bis zur Jugendmode (in der er sich zum sagenhaften Experten erklärt, als würde er vertrauten Umgang mit der Jugend pflegen; dabei ist nicht einzusehen, warum die Jugend vertrauten Umgang mit ihm haben sollte); aber da sein Antagonismus nur auf die Gemeinschaft der verzweifelten Netzfreaks Eindruck macht, die er allesamt persönlich kennt (weil die in Ungnade Gefallenen immerzu damit beschäftigt sind, Kartelle zu bilden), bleibt ihm nur noch eines: Nach anderen Hirnverbrannten zu suchen, die im Vergleich zu ihm wenigstens den Fehler haben, kein Italienisch zu
Weitere Kostenlose Bücher