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Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Titel: Meine Schwiegermutter trinkt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diego de Silva
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können.
    Wenn wir über Mary Stracqualurso reden, schlage ich – nach diesem kurzen Intro – vor, dass wir die Mystifikationen des Trash und die pathologischen Irrwege der chronischen Erfolglosigkeit hinter uns lassen, um einem Phänomen näherzukommen, das, wie ich bereits eingangs sagte, wirklich etwas unerklärlich Schlüsselreizartiges hat.
    Maria Antonietta Stracqualurso (mit Künstlernamen Mary Stracqua) ist ein Meisterwerk der Evolution. Ein moderner Klassiker. Aushängeschild und lebender Beweis dafür, dass man sich im Gärtchen des Journalismus und der Lokalkultur sehr wohl einen Platz für sich persönlich zuschneiden kann (in ihrem Fall sogar über Jahre hinweg), obwohl man Analphabet ist.
    Denn Mary ist ignorant (und das nicht erst seit heute, in diesen zwanglosen Zeiten, in denen die Ignoranz weitgehend gesellschaftsfähig geworden ist). Ignorant war sie schon in den Jahren, als es noch Gewicht hatte, wenn man ignorant war. Als Bildung noch einen allgemein anerkannten Sinn hatte. Als die Unkenntnis der italienischen Sprache noch als Hindernis galt, wenn man unterrichten, sich für ein politisches Amt zur Wahl stellen, öffentlich reden oder schreiben wollte.
    Aber ihr ist es auch damals schon gelungen, die Zeitungsredaktionen zu infizieren und ihre schreckliche Syntax durchzusetzen, ohne dass irgendjemand etwas dagegen einzuwenden hatte, ohne dass auch nur ein einziger selbsternannter Intellektueller in der ganzen Stadt versucht hätte, sich ihren unseligen Expansionsprojekten zu widersetzen. Auch damals schon, wollte ich eigentlich sagen, gelang es ihr, bei jeder öffentlichen Gelegenheit aufzukreuzen und sich mit ihrer fülligen, schlecht angezogenen Gestalt als angebliche Zivilzeugin in den Vordergrund zu spielen. Damit wirkte sie als Wegbereiterin für nachfolgende Generationen von Analphabeten, die sich ganz zu Recht dachten: ›Wenn die Journalistin ist, kann ich das auch!‹
    So gesehen, nahm Mary Stracqua das moderne Karrierekonzept vorweg, das es möglich machte, sich ohne jegliches persönliches Verdienst und ohne erkennbare Begabung als öffentliche Persönlichkeit zu behaupten.
    Aber während der Gewinner bei Big Brother nur auf einer rein potenziellen Ebene Zugang zur Welt der Fernsehunterhaltung hat (viele der Konkurrenten in dieser erfolgreichen Sendung bekommen tatsächlich kaum mehr als eine Nebenrolle in einem Vorabendfilmchen oder irgendeiner Fernsehsendung, und allermeistens geraten sie in Vergessenheit), ist Mary ein Beispiel dafür, wie man den noblen Beruf der Journalistin ausüben kann, ohne einen blassen Schimmer davon zu haben, was eine Nachricht ausmacht, wie sie gebaut sein muss und wie man sie vermittelt.
    Heute hat Meisterin Stracqualurso zwar schon etliche Jahrzehnte auf dem Buckel, treibt im so genannten kulturellen Milieu der Stadt aber immer noch mit schöner Regelmäßigkeit ihr Unwesen (auch weil sie außer Journalistin auch noch Dramaturgin ist, Dichterin, Romanschriftstellerin und bestimmt noch vieles mehr, von dem wir alle gar nichts ahnen. Eigentlich komisch, denke ich gerade, dass man ihr noch keinen Lehrstuhl an der Universität angeboten hat).
    Es gibt keine lokale Nachrichtensendung in Funk und Fernsehen, wo man sie nicht wenigstens zwei, drei Mal pro Woche um einen Kommentar zum Tagesgeschehen bittet. Und mit Paternalismus und unverhohlener Anmaßung erfüllt Mary Stracqua die Bitte zuverlässig und begeistert. Ihre schauderhaften Äußerungen garniert sie mit einer solchen Menge an Attentaten auf die Consecutio temporum und mit so eigenwillig gewählten Adverbien, dass du dich fragst, aus welchem unbegreiflichen verflixten Grund eine solche Knalltüte immer noch öffentlichen Raum beanspruchen und ungestraft die Intelligenz der Mitbürger beleidigen darf.
    Bei jeder x-beliebigen Versammlung oder Tagung, bei jeder Ausstellung, jeder Lesung, jeder Wahlkampfveranstaltung, garantiert jeder Pressekonferenz (›Pressekompferenz‹ würde sie sagen), und ich meine: jeder , werdet ihr auf Mary Stracqualurso treffen. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie eine Einladung dazu erhalten hat oder nicht: sie wird in jedem Fall da sein (und in jedem Fall auch einen Dummen finden, der aufsteht und ihr seinen Sitzplatz in der ersten Reihe überlässt).
    Ohne sie geht gar nichts – Mary Stracqua ist das historische Gedächtnis der Stadt (eine weitere ihrer unerschütterlichen Überzeugungen ist, dass ihr nichts entgeht).
    Das am schwersten aufzudeckende Geheimnis ist aber,

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