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Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Titel: Meine Schwiegermutter trinkt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diego de Silva
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mit welcher Souveränität die Stracqualurso jeden möglichen Dissens im Keim erstickt und wie sie sich mit einer Aura der Einschüchterung umgibt, die kollektives Schweigen verlangt. In dieser Stadt, die immer gleich wegschaut, wenn es ungemütlich zu werden droht, gibt es keinen Journalisten, keinen Universitätsdozenten, keinen Freiberufler oder Künstler (nicht mal einen verkrachten), der es jemals gewagt hätte, der Stracqualurso ins Gesicht zu sagen, was alle denken: Dass sie nämlich eine lausige Analphabetin ist, die nicht mal drei Wörter nacheinander (geschweige denn eine Nachricht) auf die Reihe kriegt. Dass sie jeder Form von Autorität, mit der sie in Berührung kommt, in den Arsch kriecht – egal, ob es sich um ihre Haus- oder die Stadtverwaltung handelt. Und dass der Parteiausweis in ihrer Tasche eigentlich schon alles sagt über den Nutzen der sogenannten Berufsverbände.
    Formal respektieren sie alle.
    Und im Grunde vergeben ihr auch alle. Lassen sie leben, auftreten, kommentieren. Manchmal sogar (immer noch) schreiben. (Ich kenne ein paar lokale Chefredakteure, die aus Marys Artikeln die besten Schoten rausdestillieren und als Kettenbrief rummailen, oder andere, die ihre Machwerke zur Belustigung laut auf Redaktionskonferenzen vorlesen. Aber am Ende wird das ganze Geschreibsel – vielleicht zwar orthografisch entschlackt und um ein Minimum an logischer Folgerichtigkeit ergänzt –, am Ende werden die Artikel dann aber doch alle abgedruckt.)
    Habt ihr den Mechanismus kapiert?
    Wir lachen über Mary Stracqua und über die vielen kleinen oder mittleren Parasiten, die wie sie die Zeitungsredaktionen, die politischen Sekretariate, Ministerien, Fernsehsender und Universitäten lahmlegen; in Wahrheit aber sind wir für ihr Überleben verantwortlich.
    Wir leben dieses kollektive intellektuelle Rumgeeiere, diese kulturelle Heuchelei, weil wir nichts dagegen unternehmen. Und nicht anders als die Jünger des Trashs zeigen wir mit dem Finger auf die Ignoranten und machen uns über sie lustig, wenn sie uns nicht hören.
    Wir sind tolerant und entgegenkommend. Und wenn wir ihnen immer wieder zuschauen, nehmen wir an einem interaktiven Spektakel teil.
    Wir billigen einen Skandal.
    Wir schauen uns an, wie wir, in unserem kleinen Maßstab, die Welt zugerichtet haben.

Newtons Metapher
    Meiner Schwiegermutter macht es – ganz ehrlich – einen Heidenspaß, mich hochzunehmen, aber ich muss gestehen, dass ich über die Sache mit dem Leben und dem Sex wirklich gründlich nachgedacht habe.
    Und da es mir nicht passt, wenn man von mir denkt, dass ich einer bin, der die Dinge nur so dahinsagt, will ich meinen Standpunkt zu dem Thema kurz erläutern.
    Also …
    Wenn euch jemand eine Frage stellt, in der der Ausdruck ›Sexualleben‹ vorkommt – fühlt ihr euch (ganz unabhängig, wie und sogar mit welchen Absichten euch diese Frage gestellt wird) dann nicht, als würdet ihr eigentlich gefragt: ›Wie lang hast du schon nicht mehr gevögelt?‹ (Und gleich im Anschluss: ›Glaubst du, dass du in absehbarer Zeit mal wieder die Chance dazu bekommst?‹)
    Die Frage nach dem Sexualleben wirft grundsätzlich drei Fragen auf:
Machst du’s?
Machst du’s nicht?
Und wenn ja: Wie oft?
    Wenn es um Sex geht, sind wir ekelhaft quantifizierend und so gar nicht natürlich oder spontan. Irgendwie scheint Sex für uns nichts mit Leben zu tun zu haben, sondern eine Art Infarkt zu sein (der einen dabei ja tatsächlich erwischen kann; und manch einer wünscht sich das sogar).
    Ein Sexualleben zu haben bedeutet bestenfalls, von Zeit zu Zeit den kleinen Tod zu sterben.
    Bei einer meiner letzten Begegnungen mit Nives (in einem Drogeriemarkt im Zentrum – sie war schon drin, als ich reinkam, andernfalls hätte ich das wohlweislich bleiben lassen, denn ich war schon so was wie zwei Wochen im Rückstand mit der Unterhaltszahlung), war ich in Begleitung einer Freundin, die irgendwas besorgen wollte.
    Zwischen mir und dieser Freundin, um das gleich klarzustellen, ist nie etwas gelaufen, sie ist eine Freundin – mehr nicht (na gut, aber eine von denen, die, wenn sie mit dir unterwegs sind, so tun, als wären sie deine Freundin – die dich also zum Beispiel am kleinen Finger fassen, während sie neben dir herlaufen, die dir, nachdem du beim Frühstück im Café ein Croissant verspeist hast, die Krümel von den Lippen tupfen und dir zur Begrüßung und zum Abschied jeweils ein Küsschen geben. Übrigens, das noch am Rande, kannst du mit dieser

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