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Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Titel: Meine Schwiegermutter trinkt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diego de Silva
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vierundvierzig Jahren nicht im Entferntesten daran denke, mich mit einem Mädchen auf ein Bänkchen zu setzen, durchlebe ich im Moment genau diese Phase. Aber ich bin mir nicht so sicher, ob es mir gefällt.
    Warum?
    Stellt euch vor, euer Telefon klingelt den ganzen Tag. Und dann stellt euch weiter vor, dass in neun von zehn Fällen eine unbekannte Stimme dran ist. Wenn sie sich dann vorstellt, kommt direkt hinter dem Nachnamen der ihres Arbeitgebers – einer Zeitung oder eines Fernsehsenders. Mit der Konsequenz, dass ihr euch sofort die Zeitung oder den Fernsehsender merkt, aber den Namen des Anrufers automatisch vergesst.
    Diese Person fragt euch dann natürlich, ob ihr bereit wärt, ihr ein Interview zu dem Vorfall im Supermarkt zu geben. Ihr sträubt euch zunächst zwar ein bisschen, aber im Grunde gefällt euch der Vorschlag.
    Der Journalist merkt das und beginnt euch weichzukneten. Stellt euch irgendwann die erste Frage und dann die zweite. Und fängt an, in die Computertasten zu hauen, sobald ihr nur Luft holt, um zu einer Antwort anzusetzen. Und das Geräusch schmeichelt euch.
    Ihr sprecht im Folgenden natürlich nicht einfach ganz normal, sondern überlegt euch genau, was ihr sagt; ihr achtet auf die Verben, die Adverbien und den ganzen Rest. Auch gute Metaphern fallen euch ein, auf die ihr bestimmt nicht kommen würdet, wenn da am anderen Ende nicht jemand wäre, der euch dermaßen ernst nehmen möchte.
    Stellt euch also vor, ihr seht euch plötzlich gezwungen, so zu sprechen, als würde euer Wort zählen. Als ob eure Version der Fakten und eure Meinung einen von vornherein anerkannten Wert hätten. Ab und zu fragt euch der Journalist sogar, ob ihr nicht bitte etwas langsamer sprechen könnt, damit er euch überhaupt noch hinterherkommt.
    Gut, und jetzt stellt euch weiter vor, ihr geht in die Bar ums Eck frühstücken und plötzlich habt ihr das Gefühl, ganz in der Nähe spräche jemand leise über euch. Ihr dreht euch in die Richtung und seht tatsächlich vier Leute, von denen zwei absichtlich wegschauen (dann aber auch wieder nicht); die anderen beiden können ihre Augen aber einfach nicht von dir lassen, obwohl es ihnen ziemlich peinlich zu sein scheint, sich dermaßen offen für jemanden zu interessieren, den sie gar nicht kennen.
    Stellt euch vor, ihr fühlt euch deshalb schrecklich unwohl in eurer Haut. Ihr rührt fünfzehn Mal hintereinander euren Kaffee um. Ihr werft euren Blick auf euer Croissant auf dem Tellerchen neben euch und denkt euch: ›Okay‹. Ihr realisiert, dass sie euch das Frühstück versemmelt haben, denn ihr könnt unmöglich frühstücken, solange irgendwelche penetrant starrenden Fremden euch dabei zuschauen, und trotzdem tut ihr so als ob, da ihr keine andere Möglichkeit seht, eure Verlegenheit zu verbergen.
    Stellt euch vor, nach einer Weile ergreift einer der vier die Initiative und spricht euch an, da er euch zweifelsfrei erkannt hat. Er – und natürlich auch alle seine Freunde – wollen euch die Hand drücken, als müssten sie das unbedingt tun, um ihren Seelenfrieden finden zu können. Dass sie euch reihum erklären, wie sehr sie euren Umgang mit der dramatischen Situation bewundert haben. Sie behandeln euch wie den Protagonisten eines Erfolgsfilms. Sie fragen euch, wie man sich in solchen Momenten eigentlich fühlt. Sie wollen wissen, ob Ingenieur Romolo Sesti Orfeo inzwischen aus dem Koma aufgewacht ist.
    Und zur Krönung stellt euch jetzt noch vor, dass an diesem Punkt weitere Kunden der Bar einander fragend anschauen nach dem Motto: ›Ist das nicht der?‹, dass sie näher kommen, eine kleine Traube um dich bilden.
    Die Sache zieht sich, und am Ende müsst ihr allen einen ausgeben (wobei der Inhaber der Bar darauf besteht, dass ihr auf keinen Fall bezahlt).
    Wenn ihr dann endlich aus dem Café draußen seid, beschleicht euch ein unerklärlicher Katzenjammer. Ihr habt das dringende Bedürfnis, jetzt gleich die Stimme der Frau zu hören, die ihr liebt, damit ihr euch daran erinnert, wer ihr eigentlich seid.
    Ihr greift also automatisch in eure Tasche, und erst da fällt euch ein, dass eure Frau ja von einem Tag auf den anderen gegangen ist, ohne euch genau zu erklären, warum.
    Und eure Hand bleibt, wo sie ist, greift weder nach dem Handy, noch kommt sie wieder aus der Tasche, gerade so, als würde sie auf weitere Anweisungen warten.
    Da wird euch dann endgültig klar, dass ihr diese Gefühlsautomatismen wirklich unerträglich findet. Weil sie an der Vergangenheit

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