Meine Schwiegermutter trinkt - Roman
letzten Wortes zu lauschen, das mir da aus dem Mund gepurzelt ist, und ich betrachte das erschrockene Gesicht von Ingenieur Romolo Sesti Orfeo, der sich entgeistert fragt, was ich da eigentlich gerade verzapft habe.
Im Augenwinkel sehe ich das Profil des Kameramanns, dem die Kinnlade runterklappt.
Selbst Mary Stracqua wirkt verdutzt.
Und genau in diesem Moment verstehe ich, wo mein Problem liegt: Wenn ich an einem komplexen Zusammenhang dran bin, dürfte ich mich eigentlich nicht auf eine dialektische Improvisation einlassen. In so einem Fall laufen bei mir die Gedanken und folglich die Wörter nämlich zweigleisig und unterschiedlich schnell nebeneinanderher, und weil ich mich mal hier, mal da bediene, drücke ich mich aus wie ein Wirrkopf.
Genauer gesagt, ist das so, wie wenn ein Freund zum Abendessen kommt und ihr euch anschließend zum Fernsehen aufs Sofa setzt. Irgendwann wirst du schläfrig, aber da dein Freund immer weiterplappert, antwortest du ihm trotzdem, weil es dir unhöflich vorkommt, einfach wegzupennen, während er mit dir spricht. In so einer Situation kommen dir erst ein wenig ungenaue und dann immer verquastere Dialogbeiträge über die Lippen, weil zwischenzeitlich auch noch ein Traum angefangen hat, und du, angeregt durch die Stimme deines Freundes, der fröhlich weiterplappert (die Freunde werden in solchen Fällen nämlich unerklärlich redselig), antwortest mit den Worten aus dem Traum (ungefähr so: ›Wir nehmen besser das Boot‹, nachdem er dich gefragt hat, ob die Schauspielerin von vorhin nicht dieselbe gewesen ist, die im Film X die Frau von Y gespielt hat). Nach ein paar solch hirnverbrannter Antworten rüttelt dich dein Freund schließlich an der Schulter, weil er begreifen will, ob du schläfst oder spinnst. Du wachst schlagartig auf – und zwar in der absoluten Gewissheit, dass du gerade einen mordsmäßigen Stuss dahergefaselt hast, auch wenn du dich schon gar nicht mehr daran erinnern kannst.
» Der Porno? «, fragt Ingenieur Romolo Sesti Orfeo verdattert.
An diesem Punkt kann ich nur noch bluffen.
Was ich auch mache.
»Ah, Sie wissen wohl nicht, wovon ich rede, stimmt’s?«, sage ich scheinheilig. (Man bemerke den Hauch von Sarkasmus, den ich in meine Frage gelegt habe.)
»Das weiß ich wirklich nicht.«
Das glaube ich gleich – woher sollte er auch? Die kleine Abhandlung über die Reality-Show, die ich mir in der Zwischenzeit auf eigene Faust zurechtgelegt habe, hat er ja schließlich nicht gehört.
In der Hoffnung, dass ich im Folgenden wieder zu etwas Sinn zurückfinde, schreite ich zum Gegenangriff. Diesmal will ich unbedingt klar bleiben.
»Ich spreche von den gedanklichen Grundlagen des Formats, das Sie hier auf die Beine gestellt haben«, setze ich an. »Ja, davon spreche ich; von Fernsehästhetik und unechten Emotionen, die eine Reality-Show eigentlich nie auslösen sollte. Ich spreche von der Kontrolle über die Programminhalte. Vom Drehbuch und von Regieführung. Und ich sage Ihnen, dass man einen Angeklagten in Handschellen, der sich vollpisst, nicht verurteilen kann. Wenn Sie ihn zu sich nach Hause mitgenommen hätten, hätten Sie ihn auch pinkeln lassen können. Aber Sie haben ihn ins Fernsehen gebracht, und da muss man auf die guten Gefühle achten – das haben Sie offensichtlich nicht bedacht. Die guten Gefühle machen nämlich die besten Absichten kaputt. Ich sage Ihnen: Nachdem Sie diesen Cordiale oder Caldore oder wie Ihr Gefangener hier heißt, schon vor aller Welt bloßgestellt haben, schießen Sie sich bei den Fernsehzuschauern vollkommen ins Aus, wenn Sie jetzt auch noch auf ihn schießen. Will heißen: Punktsieg für ihn.«
Instinktiv werfe ich einen Blick auf Matrix (verdammt, warum fällt mir bloß nicht ein, wie der Typ mit Vornamen heißt?).
Der macht einen ziemlich verwirrten Eindruck, weil er nicht eindeutig sagen kann, ob der Stuss, den ich da von mir gebe, zu seinem Untergang oder zu seiner Rettung führen wird.
Ingenieur Romolo Sesti Orfeo wiederum wundert sich einen Moment lang – dann sind seine Gedanken jedoch wieder geordnet, und er antwortet mir mit der Abgeklärtheit eines Fahrlehrers.
»Interessante Analyse, Herr Anwalt. Richtig raffiniert sogar. Es ist nur so, dass ich gar keine Ambitionen habe, einen Fernsehpreis zu gewinnen – deshalb lässt mich Ihre Medienkritik leider völlig kalt.«
»Ha, ha, ha«, lacht Mary Stracqua auf dem Monitor und verteilt dabei sogar ein wenig Spucke durch ihr verlottertes Gebiss.
Damit
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