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Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Titel: Meine Schwiegermutter trinkt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diego de Silva
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gut gehe, und die Frage nochmal wiederholt, als ich das nicht überzeugend genug bejahe.
    Sehe mich, wie ich dem Mann durch die Schlitze in der ausgeleierten Sturmhaube in die Augen schaue, durch zwei verschieden große ovale Löcher, die aussehen, als wären sie eigenhändig mit der Schere ausgeschnitten – und ich weiß auch noch, dass ich dachte: Diese Spezialeinheiten-Typen – diese NOCS oder GIS oder wie sie heißen –, müssten dringend mal ihren Look verbessern. Die sehen ja aus wie Billigfetische!
    Mein Diabolik, der mich immer noch mustert, wie um zu prüfen, ob ich irgendwo verletzt oder einfach nur behämmert bin.
    ›Sind Sie sicher, dass es Ihnen gut geht, Herr Anwalt?‹, wiederholt er immer wieder, und ich, der ich höre, wie ein vermummter Unbekannter mich auf diese Weise anspricht, mache schlagartig den Deckel auf. Ich erinnere mich noch daran, wie ich entdecke, dass ich bereits von einer Bekanntheit durchs Fernsehen profitiere, die ich noch nicht für so gefestigt und weit verbreitet gehalten hätte, und obwohl er mich jetzt schon zum dritten Mal fragt (und ich die Frage schon nicht mehr hören kann), antworte ich ihm zu seiner Beruhigung: »Ja, ich würde schon sagen, doch, absolut – gut« (wobei ich mich allerdings wundere und zugleich ein wenig schäme, dass ich mich schon so bereitwillig von meinem Publikum verhätscheln lasse).
    »Sie sind voller Blut. Kommen Sie.«
    Na ja, und dann gehen wir raus . Frische Luft, Tageslicht, die Unverschämtheit der Menschenmenge, die hinter der Absperrung drängelt und schubst, um besser sehen zu können (ganz nah dran sein, denke ich mir, genau das will das Publikum); ich erinnere mich an Geschrei, das mir entgegenbrandet – so laut, dass es mich schier umhaut, aber Diabolik baut sich als Schutzschirm vor mir auf (möglicherweise ein bedingter Reflex, will ich hoffen, denn ich glaube kaum, dass ich Geleitschutz brauche); Zurufe, Doppelpfiffe, personalisierte Schlachtrufe (›Wahnsinn, Malinconico!‹; ›Große Klasse, Herr Anwalt!‹; ›Uaaa!‹; ›Bruder!‹; ›Du bist super!‹), bei denen ich mir vorkomme wie nicht mehr ganz frisch im Kopf; ich sehe, wie Scully aus allen Knopflöchern strahlend auf mich zukommt.
    »Sie waren richtig gut«, sagt sie.
    Ich schaue sie befremdet an.
    Und sie: »Alles in Ordnung?«
    »Ja, danke«, antworte ich automatisch, während ich mindestens vier nationale Fernsehsender mit ihren Übertragungswagen bemerke und mich gleich darauf frage: ›Wieso eigentlich richtig gut? Er hat sich doch in den Kopf geschossen, der arme Kerl!‹ Sehe eine Horde von Journalisten und Fotografen, die sich auf mich stürzt, als würde ich ihnen Geld schulden.
    Erinnere mich an Blitzlichter im Gesicht, ganz nah die Wärme wie von Bräunungslampen; ich bin geblendet.
    Diabolik brüllt die Leute an, sie sollen zurückbleiben.
    Die pfeifen natürlich drauf – ein ganzer Schwall Fragen von rechts und von links, Mikrofone, Aufnahmegeräte knapp vor dem Mund:
›Woran denkt man in solchen Momenten?‹;
›Hätte der Ingenieur Sie Ihrer Meinung nach erschossen, wenn Capitano Apicella nicht gekommen wäre?‹;
›Missbilligen Sie sein Handeln vollkommen oder fühlen Sie sich wenigstens ein bisschen solidarisch mit ihm?‹;
›Würden Sie sagen, das war der wichtigste Fall in Ihrer Laufbahn?‹;
›Haben Sie ihn gewonnen oder verloren?‹
    Ich antworte niemandem, weil sich mir der Kopf dreht, und vor allem kann ich mir nicht erklären, wie jemand auf die Idee kommen kann, dass ein armer Kerl, der gerade frisch einer solchen Horrorsituation entkommen ist, klar genug sein könnte, um auf so dreiste und dazu noch theoretische Fragen antworten zu können …
    Manche Nachrichtenjournalisten nehmen’s, wie’s kommt, die unterscheiden nicht zwischen unbesonnenen und wohlüberlegten Verlautbarungen und die interessiert es auch nicht, erstere zu Gunsten letzterer zurückzuhalten, die finden es sogar umso besser, wenn einer durch unbedachtes Geschwätz in die Scheiße tritt. (Ich hatte übrigens immer schon Angst davor, beim Wort genommen, aber dann auch noch mitgeschrieben oder abgefilmt zu werden …) Einen Moment lang muss ich an die Schlussszene vom ersten Rocky denken, als Stallone völlig angeschlagen aus dem Ring tritt, aber nicht mit dem Blitzlichtgewitter der Paparazzi und dem Ansturm der Journalistenfragen gerechnet hat – und plötzlich schreit er volle Pulle den Namen seiner Freundin hinaus; wäre nicht übel, stelle ich mir vor, wenn ich

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