Meine Suche nach der besten Pasta der Welt
dem kleinen Bergdorf nun ein Feinschmecker-Mekka erwartet hat, eine Aneinanderreihung lieblicher Feinkostgeschäfte, Weinbars unter efeuumrankten Arkaden, Konditoreien und natürlich Pasta-Lädchen, der wird derbe enttäuscht. Fara San Martino ist ein Arbeiterort. Zwar ein hübscher, harmonischer, am Fuß des prächtigen Majella-Massivs gelegener Ort, aber eben ein Ort mit nur einer Aperitif-Bar, die Little Italy heißt und wo man durchaus auch Freitagabend mit Trainingshose hingeht. Es gibt beispielsweise keinen Tinnef-Laden mit Pasta-Andenken, was man doch mindestens erwarten würde (Magnetstecker in Form von diversen Pastasorten für den Kühlschrank beispielsweise), ja, es gibt nicht einmal ein Pasta-Geschäft. Die Nudeln, genauso verpackt und genauso billig oder teuer wie in jedem Geschäft zwischen München und Palermo, kauft man entweder in dem kleinen
Alimentari -Laden am Fuße jener Treppe, die zum Kirchplatz und zum Little Italy hochführt, oder in einem kleinen Supermarkt eine Straße jenseits der Kirche.
Und es wird noch seltsamer: Das einzige nennenswerte Restaurant des Ortes, ein sympathisch vollverglaster Holzbau namens La Villetta , ist – eine Pizzeria. Pasta gibt es nur mittags.
Damit immer noch nicht genug: Fara San Martino hat kein typisches Pasta-Gericht, keine geheime Spezialität. Die Marktfrau des Alimentari -Ladens behauptete zwar, Strangozzi , Bandnudeln zu Nestern verwebt, wären so etwas wie ein Abruzzen-Liebling, aber nicht einmal das ließ sich bestätigen. Kurz gesagt: Fara San Martino weigert sich hartnäckig, unserem Klischee der Pasta-Welthauptstadt zu entsprechen, obwohl sie es zweifellos ist. (Später auf meiner Reise werde ich erfahren, dass es noch eine weitere Nudelmetropole gibt, aber dazu mehr, genau, später.)
Immerhin: Die netten Betreiber der »Pizzeria La Villetta« kochten dann doch noch Pasta für mich. Man durfte laut Karte unter den üblichen verschiedenen Formen wählen und die dann mit den üblichen Soßen kombinieren ( ragù, carbonara ). Der Wirt brachte mir zunächst Spaghetti aglio, olio e peperoncino , also den Bratkartoffel-Klassiker der italienischen Küche – scharfe Spaghetti mit etwas Öl und Knoblauch. Weil er es gut meinte, garnierte er das Gericht noch mit Käse und Tomaten, was nur er für gelungen halten konnte. Für das zweite Gericht kitzelte ich dann doch noch so etwas wie eine Spezialität heraus: Fettuccine salsiccia e funghi , mit Hackfleisch und
frischen Pilzen, ein Lieblingsessen vieler italienischer Bergbewohner – außerdem war ja gerade Pilzsaison. Die Fettuccine waren ausgezeichnet, obwohl sich auch hier ungefragt Käsestreifen über die Pasta spannten.
Während ich aß, schien der Ort von einer geheimnisvollen Seuche befallen worden zu sein, die alle Bewohner dahingerafft und ausgelöscht hatte, denn als ich an einem Freitagabend um halb zehn das Restaurant verließ und noch durch den Ort bummelte, traf ich keinen einzigen Menschen. Ja, nicht einmal Licht brannte hinter den Fensterscheiben. Sprachklischees soll man ja vermeiden, aber hier sagten sich wirklich Fuchs und Hase Gute Nacht, und ich kann es sogar dokumentieren. Auf dem Heimweg lief mir kurz vorm Hotel ein Fuchs vor die Füße. Ein Fuchs! Waren diese Tiere von Zoologen nicht irgendwann mal als scheu klassifiziert worden? Ich war definitiv überraschter als er. Der Fuchs überquerte fünf Meter von mir entfernt in aller Gemütlichkeit die Straße und nahm dann den Fußweg in Richtung Park. Ich kramte schnell meine Kamera hervor, aber als ich auf den Auslöser drückte, war nur noch das buschige Hinterteil des Tiers zu sehen.
Natürlich hat der Ort einen gewissen Charme. Das fand auch Maurits Cornelius Escher, der Fara San Martino im Jahr 1928 eine Xylografie mit dem originellen Titel »Fara San Martino« gewidmet hat. Der niederländische Künstler, der von 1923 bis 1935 durch Italien reiste, bis ihm die Faschisten allzu sehr auf die Nerven gingen, hat Fara in seinem Holzschnitt voller steiler Treppen und vertikaler Linien dargestellt, ganz so, wie der alte Illusionsmaler
es mochte, und jedes Haus, das Escher damals verewigte, steht auch heute noch.
Zurück zu den drei Pasta-Giganten, die da auf engstem Raum im sogenannten Industriegebiet des Ortes aufeinanderhocken. Pierluigi Picciani von Delverde weiß, warum es in Fara San Martino so nudelig dahergeht: Im Tal zwischen dem Ort und dem Felsengebirge entspringt das Flüsschen Verde, grün zu Deutsch, und jenes
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